betr.: Heißer Scheiß in der kalten Jahreszeit
Dass etwas schlecht oder oder doch zumindest vermeidenswert sein müsste, weil es nicht mehr neu ist, wurde mir zum ersten mal ganz deutlich von einem etwa Gleichaltrigen gesagt, als ich um die 20 war. Ich war zu Besuch bei einem Freund in Paris, und im Fernsehen begann ein klassischer Tom-und-Jerry-Cartoon der besten Phase. „Mais c’est vieux!“ sagte er irritiert (mit langem Ö-ö-ö am Ende), als ich mich darüber freute.
Schon vorher wusste ich um die Wichtigkeit von „heißem Scheiß“ für die meisten Menschen (auch wenn das noch nicht so hieß), und in der Zwischenzeit habe ich mich darin geübt, meine nostalgischen Vorlieben nicht allzu ungefragt auszustellen. Aber die Menschen meinen es damit verdammt ernst. Deswegen sind Retro-Shows und wiederkehrende Modesünden so wichtig: als Exorzismus, als Möglichkeit, einen auf „offen für Olles“ zu machen, ohne aus einem Konsens ausscheren und eigene Vorlieben ausprägen zu müssen. Und diese Zuckungen treffen immer daneben! Früher war ja weiß Gott manches ziemlich grauenvoll (vor allem in der Zeit nach „Tom und Jerry“, also ab Mitte der 60er …), und rede natürlich nicht von Gesellschaftspolitik, sondern von Popkultur. Aber beides hängt ja irgendwie zusammen.
Weihnachten ist eine Zeit, die mich wenig berührt. Ich bin weder versessen darauf noch ärgere ich mich darüber. Aber eine Sache betrübt mich in diesem Zusammenhang.
Ich verdächtige die Gesellschaft, in diesen Wochen ihr Pensum an alten Aufnahmen aus allen möglichen Lautsprechern und Playlists auszusitzen – vom Weihnachtsoratorium (eines der meistgespielten in das Bach’sche von 1734) über Songs von Dean Martin, Frank Sinatra und anderen Prä-Rock’n’Rollern. Viele ahnen, manche wissen sogar, dass Bing Crosbys „White Christmas“-Originalaufnahme von 1942 stammt. Selbst die Halbplaybacks aktueller Stars klingen um diese Jahreszeit „festlicher“, das heißt: mit mehr Streichern. Im TV-Programm des Jahreswechsels gibt es ähnliche Artikel, in deren Zentrum ein Schwarzweißsketch von 1963 (älter aussehend) und ein deutsch-tschechischer Märchenfilm, der etwa zehn Jahre frischer ist. Man steht das in der Vor- und Hauptweihnachtszeit wacker durch, und wenn Anfang des Jahres die Christbäume rausgeschmissen werden, herrscht ebensolche stille Einigkeit darüber, dass man nichts mehr hören und sehen will, was nicht wenigstens gesampelt ist.
Ein gern von mir zitierter Ausspruch von Tony Bennett passt ans Ende: „Nach dem Art déco kam nur noch Mist!“