Nur der Vierte in der Reihe

betr.: 79. Todestag von Harry Langdon / 46. Todestag von Charlie Chaplin (übermorgen)

In seinem berühmten Artikel „Comedy’s Greatest Era“ für das Magazin „Life“ stellte der Filmkritiker James Agee 1949 Harry Langdon erstmals mit Charlie Chaplin, Buster Keaton und Harold Lloyd in die Reihe der „Großen Vier“ der Stummfilmkomödie (in die er freilich nur Solisten berücksichtigte). Das konnte nicht unwidersprochen bleiben, schon weil die anderen Drei im schönsten und gültigsten Sinne zu groß sind, um daneben noch Platz zu lassen. In unserer heutigen Wahrnehmung rangiert Langdon deutlich hinter ihnen bleibt somit in der Kürze der meisten einschlägigen Aufzählungen ungenannt. In seiner Glanzzeit (deren frühes Ende ja noch nicht abzusehen war) fand er gewichtige Fürsprecher. Der Produzent Mack Sennett nannte ihn an erster Stelle, wenn er nach dem größten Komiker gefragt wurde, den der Film hervorgebracht habe. Stan Laurel (das andere unschuldige Gesicht des Komischen Films) attestierte ihm das Zeug zu einem großen Schauspieler, dem Chaplins vergleichbar.

Die Einführung des Tonfilms war für alle Filmschauspieler eine Herausforderung, ganz besonders für die Komödianten, für deren Timing die Normierung der Projektoren auf 24 Einzelbilder pro Sekunde eine brutale Einschränkung bedeutete.
Was Langdon zusätzlich ausbremste, war – wenn wir einer gewissen Quelle glauben wollen – sein Charakter. Frank Capra – zuerst Gagschreiber im Stummfilm, später einer der wichtigsten Komödienregisseure des frühen Tonfilms – erklärt uns den Fall 1971 in seiner Autobiographie „The Name Above The Title“ und fasst ihn zehn Jahre später in „Comedy – A Serious Business“, der 8. Folge der Fernsehdokumentation „Hollywood“, noch einmal zusammen: „Harry Langdon hatte seine Figur nicht selbst erfunden. Das waren wir – wenn ich wir sage, meine ich Arthur Ripley und mich. Sennett hatte Harrys Nummer zusammen mit seiner Frau am Broadway gesehen und Fotos gemacht. Er mochte diesen kleinen Mann, der ein sehr langsamer Pantomime war. Er nahm ihn dann mit ins Studio und brachte ihn mit allen Komikern zusammen. Sie konnten schneller laufen, höher springen und besser fallen als alle anderen. Und da kam nun dieser kindliche Mann, der fünf Minuten brauchte, um auch nur zu zwinkern. Und den keiner wollte. Aber Sennett sagte: ihr habt ja keine Ahnung, der Kerl hat was! Also mussten Ripley und ich uns den Film anschauen, um zu sehen, ob man etwas daraus machen konnte. Wir taten das und waren der selben Meinung wie alle anderen auch. Wir hielten ihn für einen ziemlich armseligen Komiker. Ripley sagte, diesem Einfaltspinsel kann nur Gott helfen. Ich selbst hatte gerade ‚Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk‘ gelesen, und für mich gab es da eine unmittelbare Verbindung zu Langdon. Wir baten um Erlaubnis, die Idee weiterzuentwickeln. Das taten wir, der Film wurde gedreht und war ein riesiger Erfolg.

Es war die Geburt eines neuen Stars, einer neuen unschuldigen Persönlichkeit. Ich war für seine Gags zuständig und wurde schließlich sein Regisseur. Der erste Film, bei dem ich für ihn Regie führte, war ‚The Strong Man‘. Langdon konnte darin einbringen, was er am besten beherrschte. Er ging dann nach Hollywood, wo man ganz verrückt nach ihm war. Aber der arme Kerl kam mit seinem Erfolg nicht klar. Er fing an, bei seinen Filmen selbst Regie zu führen, und sein einziges Ziel war, so gut wie oder noch besser als Chaplin zu werden. Und zwar auf dessen ureigenem Gebiet! … Ich habe ihn danach jahrelang nicht getroffen, aber als ich erfuhr, dass er Theater spielt, ging ich hin, um ihm bei der Probe zuzusehen. Er hatte einen berühmten Gag aus ‚The Strong Man‘ wieder aufgenommen. Dafür musste er die Frau auf seinem Schoß im Sitzen rückwärts die Treppe hochtragen. Und der Regisseur schrie ihn an: schneller, Harry, schneller um Gottes Willen! – Das war genau das, was man von Langdon nicht verlangen durfte. Langsamer ja, aber schneller war unmöglich … Er hat nie erkannt, dass seine Figur anders war als die Chaplins. Chaplin hatte seine Figur selbst erfunden. Er konnte bei seinen eigenen Filmen selbst Regie führen, weil er seine Figur besser kannte als irgendjemand sonst. Bei Langdon war das anders. Seine Figur war für ihn erfunden worden, und das hat er nie verstanden. Das war seine Tragödie.“
In seiner Autobiographie schließt Capra gar mit dem Superlativ, Langdon sei „die tragischste Figur, der ich im Showbusiness begegnet bin“.

Seither ist dieser Darstellung auch widersprochen worden, und einige machen Capra gar als den rufmordenden Urheber von Langdons Niedergang aus – was die von mir bemühten Zeugnisse zumindest nicht nahelegen.
Es wäre großartig, die Ereignisse in einer sauberen, fairen Recherche aufgearbeitet zu finden. Eine gedruckte Harry-Langdon-Biographie böte dazu Gelegenheit. Sie wäre m. W. Die erste ihrer Art.

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