Schall, Rauch und Klischee

Ich bin immer wieder verblüfft, wie passend ich die Namen meiner Mitmenschen finde. Selbst halbwegs geläufige Vornamen wie Roland, Susanne oder Dietmar werden von der Person, die sie trägt, vollkommen inhaltlich ausgefüllt. Meistens wären Spitznamen, die ja die Aufgabe haben, den bereits erweckten Eindruck nachträglich zu würdigen, gar nicht nötig.
Das kann natürlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Vieles spricht dafür, dass Namen wirklich nur Schall und Rauch sind, wie der Volksmund sagt, und dass ich mir diese Übereinstimmung nur einbilde. Dennoch steckt etwas Magie in diesem Irrglauben, und so pflege ich ihn weiter.
Nicht zuletzt deshalb mag ich die ersten Zeilen des Romans „Vaters Meer“ von Deniz Utlu so gern. Wie ich ihnen entnehme, herrschten in der Türkei zeitweise ähnliche Zustände wie auf Ellis Island, bei der Entstehung der Namen afroamerikanischer Bürger oder bei der Gründung des Staates Israel.

Deniz Utlu schreibt: „Unser Name ist bedeutungslos, sagte Vater. Ein Name, den ein Beamter seinem Vater, also meinem Großvater, gegeben habe. Vater sagte : Viele Namen aus der Zeit, in der die Türkei die Nachnamen einführte, gehen auf die Launen geistloser Beamter zurück. Auch sind erstaunlich viele Menschen damals offiziell am 1. Januar geboren. Ganz einfach. Name: Stein. Geburtsdatum: 1.1.
Aber unser wahrer Name ist schön, sagte er. Irgendwann werde er diesen Namen in seinen Pass eintragen lassen, und dann hätten wir einen neuen, nämlich unseren alten und wahren Namen. Wie lautet er ?, fragte ich. In meiner Erinnerung gingen wir spazieren, die Sonne schien durch wassergrüne Blätter, da war ein See in der Stadt. Vater sagte : Beyt Haydo, das ist unser wahrer Name. Was bedeutet er ? Vater lachte, es war dieses tiefe Lachen aus seiner Kehle. Banditen, sagte er, und das schien ihn ungemein zu freuen. Auch mich freute das. Ich hatte einen geheimen Namen. Er gehörte Banditen.“

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