Brush up your Steinbeck

betr.: Literarische Neuübersetzung

Die von mir durchaus geschätzte Kritikerin Sigrid Löffler ist in mindestens einem Punkt völlig anderer Meinung als ich: jede Generation habe im Grunde eine eigene Übersetzung jedes wichtigen fremdsprachigen Werkes verdient – zumindest theoretisch, denn praktisch ließe sich das ja leider nicht umsetzen.
Ich stehe dieser Problematik ähnlich gegenüber wie dem traurigen Thema der Neusynchronisation alter Filme.
Neben dem Zugang, den ein Text für späteren Generationen öffnen muss, eine Aufgabe, die er sich mit der Leserschaft teilt, hat er noch eine weitere, die er ganz allein bewältigen muss: die Repräsentation der Zeit, aus der er stammt. Das ist keine Nebensache, und es gibt sogar einen Begriff dafür: Zeitkolorit. (Abgesehen davon spielt natürlich die Qualität der existierenden Übertragung eine Rolle und in diesem Zusammenhang weiterhin die Frage nach Kürzungen, zeitgeschmacklichen Frisuren u.ä.)
Viele Verlage begegnen diesem Dilemma, in dem sie keine Neuübersetzung in Auftrag geben, sondern eine ältere „bearbeiten“ lassen. Bei dieser Gelegenheit kann mit nunmehr misstönenden Formulierungen aufgeräumt werden. Doch schon das bedeutet mitunter eine üble Manipulation. Schließlich müsste darauf geachtet werden, ob ein Unwort mit voller Absicht als solches gebraucht wird, um den Charakter einer handelnden Figur zu illustrieren (ihn etwa als Rassisten oder als Macho zu kennzeichnen), ohne die künstlerische Freiheit etwaigen Empfindlichkeiten zu opfern. Erfahrungsgemäß sind die praktikantischen Hilfskräfte, die mit dieser Aufgabe betraut werden, nicht in der Lage, solche feinen Unterschiede zu erkennen.
Häufig wird bei der Überarbeitung einer alten Übersetzung aber auch einfach nur das Zeitkolorit ausgeräumt. Der legitime Wunsch, beim Lesen seinen Wortschatz zu erweitern, ist damit nicht zu vereinbaren.

Das obige Beispiel ist beliebig gewählt und bewegt sich im Rahmen des Üblichen. „Die Straße der Ölsardinen“ von John Steinbeck* erschien unmittelbar nach dem Krieg im Steinberg-Verlag Zürich.
Die aktuelle Ausgabe bei Diogenes nutzt weiterhin die Übersetzung des Schriftstellers und Theaterkritikers Rudolf Frank – oder was davon übrig ist. Die Änderungen (zumeist Kürzungen) sind so marginal wie sinnlos, doch sie machen die Prosa Stück für Stück ein wenig ärmer. An einer Stelle wird sogar der Sinn verändert. Statt „… eine schlechte Angewohnheit von Jugend auf, mein Traum“ heißt es jetzt: „… eine schlechte Angewohnheit, ein Traum“.
Wer es genau wissen will, wird wohl oder übel bei Steinbeck selbst nachsehen müssen.

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* Gelegenheitsarbeiter, Taugenichtse, Dirnen und Sonderlinge bevölkern die Cannery Row im kalifornischen Fischerstädtchen Monterey. Sie leben in alten Lagerhallen wie Mack und seine vier Kumpane, denen jede geregelte Arbeit verhasst ist; sie hausen in ausrangierten Dampfkesseln und verrosteten Röhren auf dem »leeren Platz«, der alles andere als leer ist oder wie Henri, der Maler, in einem Boot Marke Eigenbau, an dem er seit zwanzig Jahren herumbastelt und in dem es keine seiner Frauen und Freundinnen lange aushält. Sie treffen sich im unerschöpflichen Kramladen des Chinesen Lee Chong, um auf Pump einzukaufen, in den Kneipen rund um die Fischkonservenfabriken, in Doras Etablissement und im Laboratorium des einsiedlerisch lebenden Meeresbiologen »Doc«, den sie eines Tages mit einer grandiosen Party überraschen. Und das alles spielt sich unter den misstrauischen Blicken der ordentlichen Bürger von Monterey ab … 

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