Die magische Wirkung des Magischen Realismus

Nach der Präsidentschaft von Donald Trump und der Etablierung solcher Begriffe wie „alternative Fakten“ hat der Begriff „magischer Realismus“ einen faden Beigeschmack bekommen. Er kann nichts dafür.
Recht eigentlich bezeichnet er eine (seit den 20er Jahren existierende, erst viel später so benannte) künstlerische Strömung, in der die Phantastik eine wichtige Rolle spielt. (Zu Literatur und Malerei sollten sich später Filmkunst und Fotografie sowie gesellschaftspolitische Bereiche hinzugesellen.)

Die beteiligten Autoren schrieben auf Spanisch, in ihrer lateinamerikanischen Heimat wird das Phänomen „el boom“ genannt (offiziell: „realismo mágico“). Mit ihm verlagerte sich der literarische Schwerpunkt des Subkontinents von der Dichtung auf den Roman und erlangte Weltgeltung. Seine offiziellen Hauptvertreter wurden zu PR-Agenten Lateinamerikas: Julio Cortázar (Argentinien), Carlos Fuentes (Mexiko), Garbriel Garcia Márquez (Kolumbien) und Mario Vargas Llosa (Peru). – Ich würde dieser Riege noch Jorge Luis Borges (wiederum Argentinien) hinzufügen, dessen besonders ausgeprägtes phantastisches Element für die Wortwahl „magisch“ wesentlich sein dürfte.

Wie der Feuilletonist Paul Ingendaay erläutert*, beflügelten sich die literarischen und die politischen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg wechselseitig. Nachdem Fidel Castro und sein ewig junger (da früh verstorbener) Kamerad Che Guevara, sich mit der Eroberung Kubas zu Idolen des linken Lagers emporgekämpft hatten, trug der weltweite Siegeszug der lateinamerikanischen Literatur in den 60er Jahren dazu bei, Castros Kuba dauerhaft als Musterstaat zu etikettieren – auch als es längst zu einem gewöhnlichen kommunistischen Unterdrückungsapparat herabgesunken war, der – wie alle kommunistischen Systeme – von Mangelwirtschaft, Korruption und scharfen sozialen Ungleichheiten gezeichnet war, „der zähe Castro nur noch ein Greis im Trainingsanzug, dessen uralte Reden in der Parteizeitung ‚Granma‘ gedruckt wurden, so wie Billigsender im Nachtprogramm verstaubte B-Movies zeigen.“ Doch die Verklärung hatte sich verselbstständigt, das jesusgleiche Che-Logo wurde und wird von allen Lagern gleichermaßen verstanden.
Dabei hatte schon 1971 die Padilla-Affäre für eine erste Erschütterung dieses Bildes gesorgt, „die kriecherische, theatralische, vermutlich durch Folter bewirkte öffentliche Selbstbezichtigung des kubanischen Dichters Herberto Padilla vor dem Castro-Regime“, die kürzlich in einer Dokumentation aufgearbeitet wurde. Innerhalb intellektueller Zirkel kam es danach zu einer Spaltung quer durch die Welt der Geistesgrößen: „Die Castro-Anhänger verzogen sich in die eine Ecke, die Castro-Kritiker in die andere. Am Ende entzweite die Padilla-Affäre (…) auch die ehemaligen Freunde Vargas Llosa und Garcia Márquez“.
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* Frankfurter Allgemeine Quarterly 2/2024

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