Nicht groß genug für die Experten

betr.: 124. Geburtstag von Alfred Newman

Es ist bedauerlich, dass sich die öffentlich-rechtlichen Spezialisten für klassische Musik sowie die seriöse Musikkritik für klassische Filmmusik nicht zuständig fühlt (ich spreche von der Musik des frühen Tonfilms, die um die Jahrtausendwende auf dem CD-Markt eine Blüte erlebte und inzwischen auch den Weg in den Konzertsaal gefunden hat). Ich wiederum kenne mich im klassischen Repertoire und Musikbetrieb längst nicht gut genug aus, um einen Überblick über beide Welten zu haben und etwa die Qualität eines Karajan mit der eines Charles Gerhardt vergleichen zu können.

Aber natürlich höre auch ich über die Jahre viel, viel klassische Klassik – und denke mir meinen Teil. Und immer wieder begegnen mir gefeierte Dirigenten in Crossover-Projekten. Das ist selten ein Vergnügen. Der gute John Mauceri – der bei der Wahl seiner Musical- und Soundtrack-Programme über einen immens guten Geschmack verfügt – hat mich den letzten Nerv gekostet mit seiner ängstlich-hüftsteifen Zurückhaltung im Angesicht der Partituren von Harold Arlen oder Elmer Bernstein. Das Dirigat Frank Strobels, der sich im Feuilleton den Ruf des größten lebenden aktiv musizierenden Filmmusik-Kenners erarbeitet hat, macht größeres Vergnügen, wenn man keine eigene Schallplattensammlung mit den Originalaufnahmen besitzt. Strobels vergleichsweise gelungene Stummfilmmusik-Einspielungen haben dieses Problem des Vergleichs mit Referenzaufnahmen nicht.

An der handwerklichen Spitzenposition von Alfred Newman, dem langjährigen Musikchef der 20th Century Fox, Urahn eines ganzen Musikergeschlechts und genreübergreifender Komponist und Dirigent vieler Filmklassiker,  kommt in keiner mir bekannten Quelle jemals ein Zweifel auf (wiewohl es auch hier keine offizielle bildungsbürgerliche Kritikermeinung gibt). Bernard Herrmann, der mit Lob sehr knauserig war, lobte ihn als den „talentiertesten Kerl, der jemals in Hollywood einen Taktstock in die Hand genommen hat“. Als jugendlicher Soundtrack-Fan nahm ich Newmans Leistung (wie auch die seiner Kollegen) als selbstverständlich hin – bis ich mehr und mehr in der Lage war, sie mit der jüngerer Kollegen und der „richtiger“ Dirigenten vergleichen zu können. Newmans „Carousel Waltz“-Aufnahme für die Schallplatte würde heute niemand mehr so schmissig und souverän in den Kasten kriegen, davon bin ich überzeugt! Ein frivoler Gesichtspunkt sei noch gestattet. Ich habe mich sehr gefreut, auf meinem Lieblings-Klassik-Sender zu hören, wie die Moderatorin gemeinsam mit ihrem sehr kompetentem Studiogast über das Gegrinse und Gehampel lästerte, das in letzter Zeit am Pult um sich greift. Sie bezogen sich auch auf ältere Maestri, und als besonders schlimmes Beispiel rutschte ihnen der Name Simon Rattle heraus.
Und nun schauen wir uns Alfred Newman an. Möglich ist das in der Eröffnungssequenz von „Wie angelt man sich einen Millionär“, dem ersten Breitwandfilm mit Marilyn Monroe. Zur Feier des neuen Cinemascope-Zeitalters darf Newman ein komplettes Konzertstück dirigieren, seine „Street Scene“ (weiter oben im Bild). Fast ebensosehr wie die Musik beglückt mich jedesmal die anmutige Autorität des Dirigenten.

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