Lesen vom Blatt – Lange Sätze

betr.: Sprechen am Mikrofon / Übung

Fortsetzung vom 23. Mai 2024

In seiner Kurzerzählung „Der Achtzig-Yard-Lauf“ – der in Stil und Sujet ein wenig an John Cheever erinnert – beschreibt Irwin Shaw den Hut einer Frau. Die Betrachtung dieses Kleidungsstück lässt ihren Ehemann erkennen, wie sehr sich die beiden voneinander entfremdet haben, seit er sich gehenlässt, sie aber nicht.

Es war ein Nichts, ein Stückchen Stroh, eine rote Blume, ein Schleierchen, nichtssagend in seiner großen Hand – aber auf dem Kopf seiner Frau ein Signal von irgend etwas … von der großen Stadt, von smarten, wissenden Frauen, die mit anderen Männern als ihren Ehegatten tranken und dinierten, die Konversation über Dinge pflegten, über die ein normaler Mann nicht viel wußte, von Franzosen die so malten, als ob sie an Stelle des Pinsels ihre Ellbogen benützten, und von Komponisten, die ganze Symphonien schrieben, die nicht eine einzige Melodie enthielten; und von Schriftstellern, die alles über Politik, und von Frauen, die, ebenso wie über die Bewegung des Proletariats und über Marx, alles über die Schriftsteller wußten, die wieder irgendwie mit Fünf-Dollar-Dinners und den bestaussehenden Frauen Amerikas verstrickt waren, und von Homosexuellen, die sie zum Lachen brachten und bewirkten, daß halbausgesprochene Sätze sofort verstanden wurden und sie insgeheim amüsierten, und von Frauen, die ihren Gatten „Baby“ nannten.

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