betr.: Kabarett und Comedy – Zwei darstellende Humorgattungen im Vergleich
Als in den 50er Jahren Heinrich Bölls Satiren „Nicht nur zu Weihnachtszeit“ und „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“* herauskamen, wurde er als Meister der kleinen Form entdeckt, aber auch beargwöhnt: stieg da etwa ein angesehener und umstrittener Mahner in die Niederungen des (wenn auch gehobenen) Blödsinns hinab? Und würde er daraus wieder heraufkommen? (Tat er übrigens. Es folgten die finster-gesellschaftskritischen Erzählungen „Billard um halb 10“ und „Ansichten eines Clowns“.)
Die Rezeption seiner humoristischen Arbeiten stimmte den Autor in einer ganz grundsätzlichen Weise besinnlich. Böll in einem Brief: „Ich habe viel darüber nachgedacht, ob die Satire überhaupt noch eine Waffe ist, gerade angesichts des Erfolges von ‚Doktor Murke‘. Niemand fühlt sich offenbar durch diese Geschichten getroffen oder gar betroffen. Und vielleicht wäre es besser, Ohrfeigen auszuteilen als es auf diese Weise zu versuchen. Alles wird hierzulande zu einem Markenartikel, auch der sorgenannte Nonkonformismus. Und Sie können sich denken, dass mir der Beifall gewisser Studienräte – nicht aller – peinlicher ist als manche harte Kritik. Was die Erfolglosigkeit der Satire betrifft: dasselbe betrifft auch das Kabarett. Es ist formal so gut, dass man den Inhalt kaum noch ernstnimmt. Aber es ist eine ernste Frage, auch für einen Schriftsteller, ob er die Form vernachlässigen, sein Kaliber vergröbern sollte, um seiner Wirkung sicherer zu sein.“
Was Böll über die Tugenden guter Schriftstellerei erklärt, könnte für einen Kabarettisten die Antwort auf die Frage sein, warum er sich der Comedy überlegen fühlt. Der vom Autor in diesem Zusammenhang ebenfalls bemühte Aspekt der Aktualität ist hier gar nicht mal der wichtigste. In seinem Aufsatz über Wolfgang Borchert heißt es über Engagement und Zeitbezug als Ausgangspunkt für das künstlerische Schaffen: „Ein gutes Auge gehört zum Handwerkszeug (…), ein Auge, gut genug, ihn auch Dinge sehen zu lassen, die in seinem optischen Bereich noch nicht aufgetaucht sind.“ Was einfach bedeutet, den Autor Dinge mitdenken zu lassen, die sich im Grunde von selbst verstehen, die aber – unbeachtet gelassen – das gezeichnete Bild beschädigen bzw. verhunzen. Böll bemüht als Beispiel einen Bäcker, dem wir bei der Arbeit zusehen. Wir sehen sein mehlbestaubtes Gesicht und seine knetenden Hände, aber um ihn gut zu charakterisieren (zu parodieren), müssen wir seinen Alltag außerhalb der Backstube mitdenken. „… dieser Mann dort unten im Keller raucht Zigaretten, er geht ins Kino, sein Sohn ist in Russland gefallen, 3000 Kilometer weit liegt er begraben am Rand eines Dorfes, aber das Grab ist eingeebnet, kein Kreuz steht darauf (…). Das alles gehört zu dem bleichen und sehr stillen Mann dort unten im Keller, der unser Brot backt. Dieser Schmerz gehört zu ihm wie auch manche Freude dazugehört.“ Es braucht Fantasie und ein Interesse für die Figur (auch wenn es sich um eine unsympathische handeln sollte), um ihn textlich zu erfassen.
Eine solche Sorgfalt würde freilich jeder Kabarettist – unabhängig von der tatsächlichen Qualität seiner Arbeit – für sich persönlich in Anspruch nehmen (ebenso Dinge wie Durchblick, Relevanz, Wagemut etc.**). Andererseits gewinnt auch jeder gute Stand-Up-Monolog, wenn er die Hintergründe seines Gegenstandes miterfindet und einbezieht. Der selbstgestellte Anspruch taugte also nur dann zum Unterscheidungsmerkmal Kabarett / Comedy wenn man im Grunde gar nicht die Qualität der eigenen Humorsparte meint, sondern von sich selber redet: Ich bin gut, alle anderen sind schlecht, besonders die Comedians.

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* siehe https://blog.montyarnold.com/2021/08/13/dr-murkes-gesammeltes-schweigen-hoerspiel/
** Hierzu ein Beispiel mit Musik: https://blog.montyarnold.com/2016/06/01/suesse-medien-steinzeit-zwei-rueckblicke/