Die Erstübersetzung von Margaret Mitchells Südstaatengemälde „Gone With The Wind“ entstand 1937, also während des Nationalsozialsozialismus und noch vor der berühmten Verfilmung. Diese Bearbeitung von Martin Beheim-Schwarzbach wurde weiter benutzt, als die Rechte 1947 zum Claassen Verlag wechselten, dürfte aber bei dieser Gelegenheit etwas überarbeitet worden sein.
2020 war man schließlich der Meinung, den gewaltigen Text ganz neu übersetzen zu müssen, was mir mindestens wegen des berühmten Anfangs leidtut, der da immer gelautet hatte:
Scarlett O’Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarlton, so wurden sie dessen meist nicht gewahr.
Nun – erheblich prosaischer:
Scarlett O’Hara war keine wirkliche Schönheit, auch wenn das den Männern, die ihrem Charme erlagen – wie jetzt die Tarlton-Zwillinge -, selten auffiel.
Die neue Übersetzung wurde in die Hände von Liat Himmelheber und Andreas Nohl gelegt. Nicht zuletzt, um die neue Fassung auf den ersten Blick von der alten unterscheidbar zu machen, entschied man sich für einen geringfügig geänderten Titel: „Vom Wind verweht“.
„Vom Winde verweht“, Goverts Verlag Hamburg / Claassen Verlag Düsseldorf
Deutsch von Martin Beheim-Schwarzbach
1937 / 47
„Lass uns doch querfeldein über O’Haras und Fontaines Weiden reiten“, schlug Brent vor. „Dann sind wir im Nu da.“
„Wir kriegen da nur Opossum und Grünkram zu essen“, wandte Jeems ein.
„Du kriegst überhaupt nichts“, grinste Stuart, „denn du reitest nach Hause und sagst Ma, daß wir nicht zum Abendessen kommen.“
„Nein, das ich nicht tun“, schrie Jeems voller Angst. „Das ich nicht tun! Ich auch nicht Spaß haben, von Missis Beatrice verprügelt werden. Zuerst sie mich fragen, wie ich es fertigbringen, daß Masters wieder ‘rausgeschmissen, und dann, warum ich Masters heute abend nicht mitbringen, damit sie uns alle verprügeln kann. Und dann sagen, ich bin an allem schuld. Und wenn Masters mich nicht mit zu Master Wynder nehmen, ich die ganze Nacht draußen im Wald liegenbleiben. Besser mich Landjäger beim Kragen nehmen, als Missis Beatrice!“
Verblüfft und ärgerlich sahen die Zwillinge den entschlossenen Negerjungen an.
„Es wäre dumm genug, sich vom Landjäger fassen zu lassen, und dann hätte Ma wochenlang was Neues zu reden. Du kannst mir glauben, mit den Schwarzen hat man es noch schwerer als mit uns; manchmal denke ich, daß die ganz recht haben, die den Sklavenhandel abschaffen wollen.“
„Nun, es wäre unrecht, Jeems dem auszusetzen, wovor wir Angst haben. Wir müssen ihn schon mitnehmen. Aber paß auf, du unverschämter schwarzer Schafskopf, wenn du dich vor den Schwarzen bei Wynder damit dicke tust, daß wir jeden Tag Brathuhn und Schinken essen und sie nur Kaninchen und Opossum, dann sage ich es Ma und du darfst nicht mit uns in den Krieg.“
„Dick tun? Ich mich nicht vor billigen Negern dick tun! Ich bessere Manieren, haben mir Missis Beatrice ebenso gute beigebracht wie Masters.“
„Das ist ihr bei uns allen dreien nicht besonders gut gelungen“, sagte Stuart. Er riß seinen Fuchs herum, gab ihm die Sporen und schwang sich leicht über den Lattenzaun auf den weichen Acker von Gerald O’Haras Plantage. Brents Pferd setzte hinterher, und ihm nach Jeems, der sich am Sattelknopf festklammerte. Jeems setzte nicht gern über Zäune, aber er hatte schon höhere als diese nehmen müssen, um mit seinen Herren Schritt zu halten.
Als sie im immer tieferen Dunkel durch die roten Furchen den Hügel hinab bis zur Flußweide ihren Weg verfolgten, rief Brent mit lauter Stimme seinem Bruder zu: „Stu! Kommt es dir nicht auch so vor, als ob Scarlett uns eigentlich zum Abendessen einladen wollte?“
„Das ist mir die ganze Zeit so vorgekommen“, schrie Stuart zurück.
„Warum, meinst du, hat sie …“
„Vom Wind verweht“, Verlag Antje Kunstmann
Deutsch von Liat Himmelheber und Andreas Nohl
Januar 2020
„Wir reiten einfach querfeldein zu Ables Haus“, schlug Brent vor. „Durch Mr. O’Haras Flussmarsch und die Weide von den Fontaines, dann sind wir im Nu da.“
„Dann kriegen wir aber höchstens Opossum und Grünzeugs“, wandte Jeems ein.
„Du kriegst sowieso nichts“, grinste Stuart. „Weil, du reitest nach Hause und sagst Ma Bescheid, dass wir nicht zum Abendessen heimkommen.“
„Nee, das mach ich nich!“ rief Jeems entsetzt. „Nee, mach ich nich! Mir machts genauso wenig Spaß, wenn Miss Beatrice mich aufs Korn nimmt, wie euch. Zuerst fragt sie mich, wieso ich zugelassen hab, dass ihr wieder rausgeflogen seid, und dann, wieso ich euch heut Abend nich zum Verprügeln nach Haus gebracht hab. Und dann stürzt sie sich auf mich wie ne Ente auf nen Junikäfer, und dann kommt raus, dass ich an allem schuld bin. Wenn Sie mich nich zu Mista Wynda mitnehmen, dann versteck ich mich die ganze Nacht im Wald, und vielleicht schnappt mich dann die Patrullje, weil, ich will lieber von der Patrullje geschnappt werden wie von Miss Beatrice, wenn sie sich aufregt.“
Die Zwillinge blickten den entschlossenen schwarzen Jungen verblüfft und verärgert an.
„Es wäre ihm glatt zuzutrauen, dass er sich von der Patrouille schnappen lässt, und dann hätte Ma neuen Gesprächsstoff für mehrere Wochen. Darkys sind einfach eine Pest. Manchmal habe ich das Gefühl, die Abolitionisten haben nicht ganz unrecht.“*
„Naja, es wäre nicht fair, Jeems zu was zu zwingen, wovor wir uns drücken. Wir müssen ihn mitnehmen. Aber pass mal auf, du unverschämter schwarzer Esel, wenn du vor den Wynder-Darkys den großen Mann markierst und raushängen lässt, dass wir immer Brathähnchen und Schinken essen, während sie bloß Kaninchen und Opossum kriegen, dann – dann sag ich’s Ma. Und dann darfst du auch nicht mit uns in den Krieg ziehen.“
„Den großen Mann? Vor den billigen Niggern den großen Mann spielen? Nee, Sir, ich hab bessere Manieren. Schließlich hat Miss Beatrice mir genauso Manieren beigebracht wie euch.“
„Sie hat bei keinem von uns dreien viel Erfolg gehabt“, sagte Stuart. „Kommt, wir gehen!“
Er riss seinen großen Fuchs herum, gab ihm die Sporen und setzte dann leicht mit ihm über den Lattenzaun auf den weichen Acker von Mr. O’Haras Pflanzung. Brents Pferd folgte und zuletzt das von Jeems, wobei Jeems sich an Sattelknauf und Mähne festklammerte. Jeems setzte nicht gerne über Zäune, aber er hatte schon höhere überwunden als diesen, um mit seinen Herren mitzuhalten.
Während sie sich in der zunehmenden Dämmerung ihren Weg über die roten Furchen und abwärts zur Flussmarsch suchten, rief Brent seinem Bruder zu: „Sag mal, Stu! Hast du nicht auch das Gefühl, dass Scarlett uns eigentlich zum Abendessen einladen wollte?“
„Mir kam’s die ganze Zeit so vor“, rief Stuart.
„Was glaubst du, warum …“
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* Ohne den in der alten Fassung eingebauten Hinweis, möchte man sich fragen, womit sie in diesem Zusammenhang eigentlich nicht unrecht haben. Das „Darkys“ (scherzhaft gesagt) „eine Pest“ sind, führt nicht zu der zentralen Forderung, die Sklaverei abzuschaffen.
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Ausführliche Leseprobe der Neufassung unter:
https://www.google.de/books/edition/Vom_Wind_verweht/8rTFDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&pg=PT8&printsec=frontcover