Sonniges aus dem Süden

betr.: 100. Geburtstag von Andrea Camilleri / Mediatheken-Tipp und Hörbuchkritik „Brief an Matilda“

Der Bestsellerautor Andrea Camilleri (Erfinder des berühmten Commissario Montalbano) ist über 90 Jahre alt, als er beschließt, seiner Urenkelin einen langen Brief zu schreiben, den sie lesen soll, wenn sie groß ist. In dieses etwas kokette Konzept – natürlich ist auch ein Buch daraus geworden – wickelt der alte Schlawiner eine dieser prallen Biografien ein, die als inspirationsquelle in literarischen Erzeugnissen der Boomer-Generation so gründlich abwesend sind. Es steht zu befürchten, dass die Jugend von heute ihren Enkeln wieder etwas zu erzählen haben wird, was wir auch bei Camilleri finden: Demokratiezersetzung, Krieg, frühe Armut und die Sorge, einer verlorenen Generation anzugehören. (Oder wie es auf der NDR-Homepage etwas konkreter heißt: „von seiner Kindheit in der Mussolini-Ära über die Berlusconi-Jahre bis zu einem Mafia-Blutbad in seiner Heimatstadt (…), über seine sizilianischen Wurzeln, über die Liebe seines Lebens, Freundschaft, Politik und Literatur“.)
Der „Brief an Matilda“ ist aber weniger wegen seines „erschreckend aktuellen“ Charakters ein so bereicherndes Vergnügen, sondern weil er angesichts all des realen Grauens so unverzagt ist. Überdies ist uns ein Happy End garantiert: der sizilianische Autor starb inzwischen einen ähnlich friedlichen Tod wie sein berühmtester Landsmann Don Vito Corleone.

Der NDR, der sein Hörbuch-Programm zuletzt tragisch zusammengestrichen hat, um zu den Sparzwängen der ARD das Seine beizutragen, macht uns auf seinem werktäglichen literarischen Rest-Sendeplatz „Am Morgen vorgelesen“ zum Ehrentag des Autors ein großes Geschenk – wenn auch nur für kurze Zeit. Noch bis Montag früh haben wir die Möglichkeit, die Lesung vollständig im Netz nachzuhören. Rolf Nagel ist als Interpret eine großartige Wahl. Sein seinerseits hohes Alter fügt dem Text glaubhafte Patina und eine geradezu italienisch anmutende Grazie hinzu.

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