Was ist eine „Soap“?

betr.: Medien / Synergien in der Popkultur

Dieser Artikel beruht auf meinem Unterricht Mediengeschichte.

Selbstverständlich weiß jeder Fernsehkonsument, was er sich unter einer Soap vorzustellen hat, und gerade auch die (immer zahlreicher werdenden) Mitmenschen, die sich mit dem Geständnis beeilen „Ich kuck ja überhaupt kein Fernseh’n“, kennen ihn nur zu genau. Dennoch überkommt es mich, über die Karriere nachzudenken, die dieses Wort hierzulande gemacht hat. Beginnen wir in der Gegenwart: mittlerweile ist „Soap“ ein wertfreier Genrebegriff wie „Talkshow“, „Comedy“ oder „Spielfilm“.

Die TV-Seifenoper

Es erscheint uns, als hätte es das Phänomen der anspruchslosen Endlos-Unterhaltung und den dazugehörigen Begriff in unserem Wortschatz schon immer gegeben, wie z.B. auch den Ausdruck „Staffel“ für eine Saison innerhalb der Laufzeit der einer Fernsehserie. In unserer deutschen TV-Geschichte gab es Staffeln zunächst aber praktisch nicht. Serien wie „Der Kommissar“ oder “Derrick“ liefen, bis es keine weitere Folge mehr gab. Wenn wir heute im DVD-Regal lesen: „Der Alte – Die dritte Staffel“ (also quasi „Der Alte – das dritte Jahr“), ist das nur ein dem Kunden Entgegenkommen, der die schubweise Produktion und Präsentation einer längeren Serie zunächst nur aus dem Ausland kannte. Zwar gab es dieses Schubkonzept vereinzelt auch bei uns, z.B. bei „Die Unverbesserlichen“ oder „Diese Drombuschs“, aber diese Serien waren keine ständigen Begleiter im TV-Programm, sondern geballt verabreichte Miniserien, vergleichbar dem „Adventsvierteiler“, an den sich unsere älteren Mitbürger noch gut erinnern werden.

Wie auch der Ausdruck „Seifenoper“ gelangte Anfang der 80er Jahre das Staffelbewußtsein mit der Serie “Dallas“ in den bürgerlichen Wortschatz. Erstmals mußte das Publikum widerwillig „in die Sommerpause gehen“, d.h. auf der höchsten Höhe der dramatischen Ereignisse auf die Fortsetzung warten und schrecklich bangen und zittern. So etwas kannten wir Deutschen nur von „Francis Durbridge“ und den sogenannten „Straßenfegern“, und da löste sich nach spätestens sechs Folgen die unerträgliche Spannung auf, und der Bösewicht wurde seiner Strafe zugeführt. Bald darauf kam „Der Denver-Clan“ („Dynasty“), das von „Dallas“ inspirierte Gegenprojekt „im Zweiten Programm“ hinzu, das handwerklich um einiges gediegener war, aber vieles genauso machte: hier wie dort quälten die Angehörigen eines durch Öl reich gewordenen Familienclans einander mit untreuen Liebschaften, Vaterschaftsprozessen und bösem Klatsch. (Das Wort „Intrige“ tauchte für einige Zeit in jeder Unterhaltung auf, die länger als vier Minuten dauerte.) Der eigentliche Held dieses Ensemblespiels war jeweils ein ruchloser Bösewicht, der aber gleichzeitig charmant (im männlichen Falle) bzw. sexy (im weiblichen) herüberkam und der uns alle daran erinnerte, wie verführbar wir doch sind. Wirklich neu für das deutsche Publikum war, dass hier die gerechte Strafe ausblieb. Neu war weiterhin die Erzählstruktur des langen Fortsetzungsromans und auch die Kluft zwischen der allgemeinen Entrüstung über „diesen Ami-Scheiß“ und dem höllischen Spaß, den das Zusehen machte. Zum letzten Mal feierte das Pantoffelkino seinen Lagerfeuer-Status – undenkbar, morgens im Büro / in der Schule nicht bescheid zu wissen. Kurz darauf kam das Privatfernsehen.

Das Publikum genoß nun zum ersten mal ein Filmerlebnis ohne „Ritt in den Sonnenuntergang“. Es bereitete sich unbewußt auf jene Zeiten vor, in denen Leute wie „Die Sopranos“ Opern ganz anderer Art bevölkern sollten, längere Opern vor allem.

Meterware aus Deutschland

Der Begriff Seifenoper (er wurde etwas später zunächst in „Soap-Opera“ zurückübersetzt, dann schließlich auf „Soap“ verkürzt) war also das trendige Schlagwort (im doppelten Wortsinne), in dem sich die Ablehnung des Feuilletons manifestierte. Alfred Biolek erregte tatsächlich (Fernseh-)Kritik, als er seinen Einsatz in der Sendung „Wetten dass..?“ mit dem gespielt-wehleidigen Versprechen füllte: „Wenn ich die Wette verliere, sehe ich mir eine komplette Folge ‚Dallas‘ an!“ Als er kurz darauf den Dallas-Fiesling J.R. (Larry Hagman) abendfüllend interviewte und sich in der üblichen liebenswürdigen Mümmelei erging, scholt man ihn scheinhelig.

1987 ging „Die Lindenstraße“ auf Sendung. Der Begriff „Soap“ war zu diesem Zeitpunkt noch den weiterhin laufenden US-Importen „Dallas und Denver“ vorbehalten, aber als diese sich Anfang der 90er verabschiedeten, wurde das Wort „frei“. Nun änderte sich die Definition. Inzwischen war mit „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ die erste werktägliche Vorabend-Fortsetzungsserie auf Sendung gegangen, es kamen und gingen viele weitere auf privaten wie auf öffentlich-rechtlichen Kanälen. Bald meinte man mit Soap eine „am Fließband“ (in großer Eile) produzierte Herz-Schmerz-Geschichte zu netto 22 Minuten aus dem bürgerlichen Lager mit nicht absehbarem Ende, die sich in blitzsauberen Musterwohnungen abspielte. „GZSZ“ – wie es viel später genannt wurde – spielte in den ersten Jahren in einer fiktiven, nie genannten Stadt, deren Autokennzeichen „ET“ lautete. Das wurde den Machern natürlich irgendwann zu doof, und sie verlegten die Handlung stillschweigend nach Berlin, wo die Produktion auch beheimatet ist. Mit dem Hollywood-Look von „Dynasty“, seinen barocken Dekos und der großorchestralen Filmmusik hatte das jetzt wirklich nichts mehr zu tun.

In jenen Tagen kam es auch zu einer kurzen Blüte der Vokabel „Telenovela“ – das waren südamerikanische Billig-Serien, deren Länge aber auf 100 Folgen begrenzt war und deren Handlung viel enger um eine einzige Heldin kreiste. Sie merken schon: das sind marginale Unterscheidungsmerkmale, die kein Schwein interessiert hat.

Die Goldene Ära des Radios

Woher kam nun aber der Begriff „Soap Opera“, mit dem alles angefangen hatte? Nicht etwa von der aseptischen Sauberkeit der Möbel und Klamotten, wie immer mal vermutet wird, sondern aus den späten 20er und frühen 30er Jahren, als das Radio seine kurze Blütezeit als hochkünstlerisches Massenmedium antrat. Fortsetzungsserien gehörten im US-Rundfunk schon frühzeitig dazu – 1920 war das Radio in den USA eingeführt worden schon zwei Jahre später wurde das erste Melodram ausgestrahlt. Das Darstellerensemble trat vor ein Live-Publikum, flankiert von einem Studio-Orchester und einem Geräuschemacher. Ebenfalls persönlich anwesend waren Leute wie Lady Astor oder zumindest ein Repräsentant des jeweiligen Sponsors. Man kann schon erraten, welche Produktgruppe hier besonders gern vor und nach der Show beworben wurde: Die Waschmittelhersteller. Und dann traten Figuren wie der „Lone Ranger“ auf, „The Green Hornet“ oder der „Shadow“ – mitunter aber auch „Hamlet“ oder „Dracula“. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

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