Zahnlose Blutsauger

betr.: 19. Jahrestag der Uraufführung des Musicals „Tanz der Vampire“ im Raimund Theater in Wien

Ich singe so schön wie die Sirenen, und ich bin auch so bös wie sie!
(Hermann Hesse)

Über kein Musical habe ich mich mit meinen Studenten so gern gestritten wie über „Tanz der Vampire“. Über alle anderen Shows waren wir entweder einer Meinung („‘Mamma Mia‘ ist schon verdammt sauber gemacht!“), aussichtslos uneins („‘Elisabeth‘ ist total toll“, wurde mir immer wieder versichert.) oder aber außerstande, eine gemeinsame Analyse anzustellen, weil es sich um ältere Werke handelte.

„Tanz der Vampire“ hat zunächst einmal eine beachtliche Vorgeschichte. Es ist im Ursprung meines Wissens der einzige Film überhaupt, der als komödiantische Genre-Parodie angelegt war – als zärtliche Verarschung der britischen Gruselfilme der 50er und 60er Jahre, in deren Zentrum zumeist Christopher Lee mit langen Zähnen stand – und der sich dennoch an die Spitze des gesamten Genres gestellt hat: „The Fearless Vampire Killers“ gilt vielen Kennern als bester Vampirfilm überhaupt.
Erstaunlicherweise mag ich diesen Film gar nicht besonders, obwohl ich ihn als großes Werk anerkenne, schätze und respektiere. Unbestritten hat er ein makelloses Finale.
Die titelgebenden Vampirjäger scheinen gesiegt zu haben, sind ihren Häschern heil entronnen, und der junge der beiden Helden darf sogar eine schöne Frau im Arm halten. Doch da zeigen sich die langen Zähne hinter ihren blutroten Lippen. Sie beißt ihn – Ende! Ein eingeblendeter Text räumt noch alle Zweifel beiseite: die beiden Fliehenden werden es sein, die trotz bester Absichten nun den Vampirismus in alle Welt exportieren.

Als ich hörte, aus „Tanz der Vampire“ würde ein Musical gemacht, dachte ich nur: jetzt hat es diesen armen Streifen auch erwischt. Als es hieß, der leibhaftige Polanski würde nach Hamburg kommen und die Übertragung dieses Klassikers (nicht seines Meisterwerks, denn das war im Jahr zuvor – nichts für ungut – „Rosemary’s Baby“ gewesen) auf die Musical-Bühne selbst überwachen, fragte ich mich nur: was wird der Meister wohl mit diesem Filmende machen? Wie wird er diesen verstörenden und ganz und gar unparodistischen Abschluss in eine Theaterform hinüberretten, deren Ende üblicherweise den Aufmarsch glücklicher Gesichter auf einer Showtreppe vorsieht?
Das konnte nicht klappen! Es klappte nicht.
Meine Erinnerungen an diesen tristen Theaterabend in der Neuen Flora sind längst in gnädiges Vergessen hinuntergesackt, aber ich weiß noch, dass das Finale mit dem Film überhaupt nichts zu tun hatte. Die Pointe ging weitgehend unter, und dann hopsten noch minutenlang Leute in schwarzen Rockerklamotten über die Bühne, bis das Publikum genug hatte. Für eine kläglichere Verramschung seiner historischen Leistung hätte Roman Polanski seinen Namen unmöglich hergeben können!

Selbstverständlich habe ich nicht versucht, diesen eher esoterischen Einwand mit meinen Studentinnen und Studenten auszudiskutieren. Mir ging es um eine Sache, die noch viel wichtiger ist als diese immerhin erklärlichen Schüttverluste, wie sie bei Adaptionen ja häufig vorkommen.
Ich behandelte „Tanz der Vampire“ im Unterricht mit dem schönen Thema „Schurkenrollen“. Wir sahen uns den hinterlistigen King Louie an, den bitterbösen Barnaby in „Babes In Toyland“, und Bryn Terfel sang für uns „The Ghost’s High Noon“, den fetten Schlager aus dem viktorianischen Operettenkracher „Ruddigore“. Dann kamen wir zu den geilen neuen Sachen, und ich bat die Klasse, „den Fehler zu finden“. Ich spielte ihnen die (allen wohlbekannte) Nummer „Die unstillbare Gier“ vor. Natürlich fand niemand einen Fehler.
Ich warb dafür, wie wichtig Schurken für (fast) jede gute Geschichte sind und dass es richtig ist, sie zu hassen. Natürlich darf man sie auch bewundern (Hannibal Lecter ist ja schon eine coole Sau mit seinem Doktortitel und dem ganzen Literaturwissen!), aber letztlich muß man sie auch fürchten und ihren Untergang letztlich in Kauf nehmen. Bösewichter machen uns Freude, eben weil sie so ruchlos sind, so viel Schaden anrichten und dabei auch noch gute Laune haben. Uwe Kröger hat in dieser Rolle aber überhaupt keine gute Laune. Ganz im Gegenteil: er jammert rum, dass er ja eigentlich ein ganz netter sei, aber da sei nun mal diese Gier, und er könne nicht anders, und man solle doch Verständnis für ihn haben. – Entsetzlich! Ein dröges Konsens-Gewinsel, ein verlogener, gesprächstherapeutischer Ansatz, der in einer Vampirgeschichte so angemessen ist wie ein Auftritt der Heilsarmee im Swinger-Club. Mit dieser Anschauung bekam ich im Rund der jungen Musicaldarsteller – und ich rede hier von wirklich begabten, zauberhaften und fleißigen Künstlern – keinen Fuß auf die Erde. Niemand wußte, wovon ich eigentlich sprach.
Selbst im Kindertheater gehört es sich, die Hexe auszubuhen – im Musical gehört der Blutsauger gefälligst in den Beichtstuhl.

Es gibt in meiner Geschichte – wie in „Mamma Mia“ – keinen Bösewicht. Hier gibt es einfach nur den Lauf der Zeit, die Abschaffung großer Geschichten und die Verpimpelung einer kompletten Genration mit sülzigen Botschaften. Dagegen hilft nicht mal Knoblauch.

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