Die schönsten Comics, die ich kenne (6): „Herlock Sholmes und Dr. Waston“

„Die Abenteuer des Herlock Sholmes“: „Am Hofe von König Artus“
Text: Zvonimir Furtiner, Zeichnungen: von Jules Radilovic
Erschienen: 1957 im jugoslawischen Magazin „Plavi Vjesnik“, deutsch 1976 in „Yps“

Den Arbeiten osteuropäischer Zeichner begegnete ich zumeist in „Fix und Foxi“, wo die Kollegen zum deutschen Kauka-Team gehörten*. Eine Ausnahme war der (ebenfalls anonyme) Auftritt von Jules Radilovic und seines Ermittlers Herlock Sholmes in der legendären Jugendzeitschrift „Yps (mit Gimmick)“. Die angemessene deutsche Entdeckung dieser Serie aus den 50er Jahren steht noch aus, denn nach zwei Fortsetzungsgeschichten ward sie nie mehr gesehen.* Ihr Zeichenstil ist klar und aufgeräumt, aber historisch präzise und diskret mit stimmigen Details gespickt.

Ähnlich wie in den Filmen „Genie und Schnauze“ oder „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ wird der berühmteste Detektiv der Welt ein wenig hinterfragt und neu ausgedeutet. Bei Radilovic und seinem langjährigen Autor Zvonimir Furtiner (die Abenteuer basieren nicht auf den klassischen Vorlagen) geht es jedoch nicht um Demontage – ihr Sholmes ist nicht der übliche unausstehliche Übermensch, zuweilen verzweifelt er fast an der Tücke des Objekts, doch letztlich bleibt er Herr der Lage und ist ein Verkleidungskünstler, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. (Unvergessen sein Auftritt als Baum, der so überzeugend ist, dass an seiner Wurzel ein Hundebeinchen gehoben wird. Doch auch als Hund macht Sholmes an anderer Stelle eine gute Figur.)
Sholmes_ZeileEine Seite aus „Der Fall Anastasia“ – Copyright by Erko Verlag (siehe unten)

Seine Abenteuer führen ihn und seinen Freund Dr. Waston mitunter buchstäblich in andere Welten und im heutigen Fall sogar in die Vergangenheit.

Verzweifelt hat der Schriftsteller Wells (der als Portrait von H. G. Wells zu erkennen ist), den berühmten Detektiv Herlock Sholmes um Hilfe gebeten. Man will ihm den Mord an seinem amerikanischen Kollegen Sam Clemens (Mark Twain alias Samuel Langhorne Clemens wie aus dem Gesicht geschnitten) anhängen, der auf dem geheimnisvollen Schloss Sadwidge spurlos verschwunden ist. Sholmes und Waston begleiten Mr. Wells dorthin. In einer Maurerritze findet der Detektiv einen Zettel mit einer lateinischen Anweisung. Als er ihre Wirkung testen will, finden er und Dr. Waston sich unversehens in einer Gefängniszelle wieder. Wie sich herausstellt, wurden die beiden ins sechste Jahrhundert an den Hof von König Artus katapultiert. Dort treffen sie den verschwundenen Mr. Clemens, mit dem sie gemeinsam auf dem Scheiterhaufen sterben sollen. Eine Sonnenfinsternis kommt ihnen zu Hilfe (ein vertrautes Sagen- und Comicmotiv) und ermöglicht es Sholmes, den König davon zu überzeugen, dass er ein großer Zauberer sei. König Artus ist dermaßen beeindruckt, dass er dem Detektiv die Verantwortung für seine Sicherheit überträgt – sehr zum Ärger von Ritter Lancelot und dem Hofzauberer Merlin. Da keiner der drei Gäste aus der Neuzeit die Formel kennt, die sie in ihre eigene Zeit zurückbringen kann, sind sie gezwungen, bei Hofe zu bleiben und den König vor einer Reihe von Intrigen zu schützen, die gegen ihn im Gange sind.
Herlock Sholmes, der sich während einer Jagd als Wildschwein verkleidet, um seinen diskreten Dienst besser versehen zu können, kann nicht verhindern, dass Lancelot Genoveva, die Gemahlin des Königs, entführt, um selbst König zu werden. (Als ein Knappe ein echtes Wildschwein erlegt, macht sich Waston kurzzeitig große Sorgen um seinen Freund …) Sholmes gelingt es – als Weinfass getarnt – in die Burg des Ritters einzudringen und Genoveva zusammen mit dem ebenfalls dort festgesetzten Ritter Magnus zu befreien. Doch der Dank König Artus‘ fällt anders aus als erwartet. Umso dringlicher wird es für unsere Freunde, die Formel zu finden …

Ich muss zugeben, dass ich die nächste Sholmes-Geschichte „Der Fall Anastasia“, die milde auf Edgar Allan Poes „Doppelmord in der Rue Morgue“ anspielt, schon wegen ihres urbanen Londoner Flairs noch ein wenig interessanter finde, aber, ach!: sie liegt mir nicht vollständig vor. (Einige der betreffenden „Yps“-Hefte konnte ich bis heute nicht auftreiben.) Wie dem auch sei: nach all den Jahren, in denen Sherlock-Holmes-Parodien ununterbrochen Konjunktur hatten, behauptet diese kleine Artussage ihren Platz in meinem Herzen.

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Nachtrag:
Moinsen!

Bin gerade auf der Suche nach Artikeln zu „Herlock Sholmes“ auf einen Beitrag in Deinem Blog gestoßen („Die schönsten Comics, die ich kenne (6)“). Die angemessene deutsche Entdeckung hat stattgefunden. Der Erko Verlag bringt eine Gesamtausgabe heraus. Der erste Band ist bereits erschienen und enthält u.a. den Fall Anastasius. Hier ein Link zum Comicvertrieb PPM wo besagter Band beschrieben wird …
Ich gehe mal davon aus, dass Dir das schon bekannt war, aber falls nicht macht die Mail hier ja noch Sinn … :o)
Beste Grüße und viel Spaß weiterhin mit Herlock Sholmes!
Wolfgang Meyerholz

Delmenhorst

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* Von Branco Karabajic war schon unter https://blog.montyarnold.com/2016/11/11/die-schoensten-comics-die-ich-kenne-3-die-wahrsagerin/ die Rede.

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