Second Hand Nightmares

betr.: „Drifter“ (3bändig) von Ivan Brandon und Nic Klein (Crosscult)

In der Fußgängerzone der Hamburger Innenstadt ist ein unabhängiger Prediger zugange, der mit heiligem Ernst und eigenwilliger Semantik das Evangelium verkündet. Das klingt dann etwa so: „Der Herr aber sprach: ‚Amen, amen, ich sage euch: Neenee – so läuft die Schose nich’! Nehmet euch in Acht vor so’ne Pharisäer-Spacken. Was die labern, könnt ihr inne Tonne treten!“ – Es geht ihm offenbar weniger um eine Botschaft als um deren Verkündigung. Ich bezweifle, dass er auch nur das Vaterunser unfallfrei zusammenbekäme.
Während man stimmige Kunstsprachen nicht alle Tage findet – das Nadsat etwa, das Yoda-Deutsch oder Orwells Neusprech – trifft man eine solch unbekümmerte Mischung aus gängigen Nostalgie-Bröckchen und urbaner Flapsigkeit häufig an. Sie blüht in unseren Musicals, in der Fantasy-Literatur, im Deutschrock, sogar im Regietheater (besonders bei Shakespeare) – also überall dort, wo Kulturschaffende unrichtigerweise verdächtigt werden möchten, überdurchschnittlich belesen zu sein.

Die Graphic Novel ist ein besonders tiefes und grünes Tal der Stilblüte, und wahrhaftige literarische Anerkennung wird ihr unter diesen Umständen letztlich verwehrt bleiben.  „Drifter“ ist dafür ein Beispiel wie – Pardon! – aus dem Bilderbuch. Ein so haarsträubendes Deutsch wie hier, eine so vollständig fehlende Kontrolle über die eigenen Sprachbilder und Ambitionen herrscht nicht einmal in Michael Kunzes Übersetzung von Webbers zweitem „Phantom der Oper“. In diesem Falle sind gleich drei Personen dafür verantwortlich: Ivan Brandon (Autor der Vorlage), Franz He (Übersetzung) und Andrea Bottlinger (Lektorat).

Nicht nur die (bei sämtlichen Figuren gleichtönende) Sprache wirkt wie eine lästige Nebensache, auch die Handlung könnte ich am Ende der Lektüre nicht ohne Spickzettel wiedergeben. Es ging mal wieder nur um die Zeichnungen bzw. Gemälde.
“Drifter“ wirkt wie eine dreibändige Bewerbungsmappe für Hollywood, für jene Art von vereinheitlichtem Blockbuster-Kino, die ihr Publikum seit Jahren dem seriellen US-Fernsehen in die Arme treibt. Solcherlei hat Nic Klein nicht nötig, denn er zeichnet längst für Marvel Comics, aber die verbreitete Sehnsucht nach etwas Eigenem treibt ihn zu „langen Arbeitstagen und nicht vorhandenen Wochenenden“, wie wir im Interview (Band 1) erfahren.
Hat sich die Schufterei denn wenigstens gelohnt? Etwas Neues gibt es jedenfalls nicht zu sehen: jedes Monster, jedes Bauwerk, alle Waffen und Apparaturen, sogar die Kleidung der Figuren sind seltsam vertraut.
“Drifter“s völliger Mangel an Poesie und Inspiration springt besonders ins Auge, wenn man mit Nic Brandons wichtigstem Vorbild vertraut ist: Moebius, den er offensichtlich genau angeschaut, aber nicht unbedingt gelesen hat. Zum Glück für Brandon braucht man die Kenntnis dieses Klassikers beim heutigen Publikum naturgemäß nicht zu befürchten.

Wie viel Spaß es machen könnte, durch diese Welt zu spazieren, erlebt man in den wenigen kurzen Passagen, in denen es ausnahmsweise nicht um die allerletzten Dinge geht, die ganz große Rache, das Böse an sich, die drohende Vernichtung des Universums etc., sondern um Kleinkram und das Allzumenschliche unter der interplanetarischen Lackierung.
Der Held wird einen finsteren Schacht hinuntergelassen, ohne die Details seiner Mission erfahren zu haben. Ein ihn nur knapp verfehlender gefräßiger Sandwurm kreuzt seinen Weg, dessen Kopf im Gegensatz zu seinem Vorbild aus dem Film „Im Land der Raketenwürmer“ die Größe eines Einfamilienhauses hat. Unser Held berappelt sich und erfährt, dass in den Stollen, die dieses Untier ins Erdreich fräst, ein kostbarer Rohstoff abgebaut bzw. eingesammelt wird: das Geschäft, das der Wurm (seltener als gewünscht) fallen lässt. Für einen Augenblick blitzen die Dinge des Lebens und sogar etwas Situationskomik auf. Dann schlagen die Klischees über uns zusammen, und es wird wieder Nacht.

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