Heiland und Maschinenwesen

Betr.: 90. Geburtstag von Stanley Kubrick (gestern)

In einem der größten Filme schlechthin findet sich eine Synchrondarbietung, die ihrerseits legendär ist: die Stimme des Bordcomputers HAL 9000 in  „2001: Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick. HAL ist ein tragisch zerrissenes Kunstwesen zwischen edlem Sendungsbewusstsein und mörderischer Täterschaft. Der Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler ist der Meinung, die deutsche Sprecherleistung von Peter Schiff überträfe noch das Original. Das mag Geschmacksache sein, aber es ist keine leichtfertig getroffene Beurteilung.
Die Filmszene ist ein Klassiker innerhalb eines Klassikers: Astronaut Dave Bowman ist auf dem langen Weg zum Jupiter, dem größten Planeten unseres Sonnensystems. Nun sitzt er in einer kleinen Weltraumgondel, das geschlossene Schleusentor des großen Discovery-Raumschiffs vor sich. Der Bordcomputer HAL verweigert ihm die Rückkehr ins Raumschiff. „Das Unternehmen ist zu wichtig, als dass ich dir erlauben dürfte, es zu gefährden“, sagt HAL, als er von Bowman aufgefordert wird, ihn einzulassen. Er hat entschieden, die komplette Besatzung sterben zu lassen, weil er das menschliche Personal für eine Fehlerquelle hält. „Ich weiß, dass ihr beide geplant habt, mich abzuschalten“, führt HAL weiter aus. „Und ich glaube, dass ich das nicht zulassen darf.“ Er spricht dieses Todesurteil weich und freundlich, geradezu säuselnd, wie ein Beichtvater.
Kubrick hat von Alfred Hitchcock gelernt, der den Typus des kultivierten, liebenswert auftretenden, aber in der Sache unnachgiebigen Superverbrechers endgültig definiert hat. Ein Meilenstein dieses Konzeptes, dem auch die Bond-Filme viel verdanken, waren die Worte von James Mason, als er Cary Grant an seine Mörder übergibt. Wenn HAL mit bedauerndem Unterton sagt: „Dave, das Gespräch hat keinen Zweck mehr! Es führt zu nichts“, erinnert man das Seufzen James Masons: „Es ist schon sehr spät, und ich habe Gäste. Leonard, geben Sie Mr. Thornhill etwas zu trinken!“
Die deutsche Fassung von „2001: A Space Odyssey“ hat aber noch ein weiteres Vorbild: eine andere Synchronfassung.

1952 wurde der erste „Don Camillo“-Film uraufgeführt. Die französisch-italienische Filmreihe um einen handfesten Geistlichen, der sich in einem Dorf in der Po-Ebene mit dem kommunistischen Bürgermeister streitet, wurde auch bei uns zu einem Erfolg und gehört zu den wenigen Spielfilmen vor 1999, die noch immer regelmäßig im deutschen Fernsehen zu sehen sind.
Wenn er einen Gewissenskonflikt nicht aufzulösen vermag, läuft Don Camillo in seine Pfarrkirche und spricht mit dem Jesus am Kreuze. Es ist dies keine andächtige Zwiesprache im Stillen, es sind leidenschaftlich geführte Diskussionen, wobei die Antworten des Heilands nur für den Pfarrer hörbar sind – und natürlich für uns. (Im Original besprechen die beiden sogar Fußballergebnisse, doch das wurde in der deutschen Fassung geschnitten.)
In vier von fünf „Don Camillo“-Filmen war Ernst Kuhr die deutsche Stimme des Herrn.

Ernst Kuhr als Jesus am Kreuze (1952) – wie zumeist ist die deutsche Version etwas umfangreicher und daher schneller als das Original. Das nimmt dem Heiland etwas von seiner Gelassenheit.

Selbstverständlich kannten auch Peter Schiff und sein Dialogregisseur Michael Günther diese Performance, und sie legten es auf eine Parodie an. Das gelang ihnen so gut, dass weite Teile des damaligen Publikums überzeugt waren, auch bei Kubrick Don Camillos Jesus am Kreuze zu hören.

Als „2001: A Space Odyssey“ Ende der 60er Jahre synchronisiert wurde, was es noch üblich, die Dialogpartner gemeinsam aufzunehmen. Peter Schiff wurde jedoch – ganz im heutigen Stil – ge-ixt, also allein aufgenommen, was ihn einen halben Tag lang beschäftigte.
MGM unterhielt ein eigenes Synchronstudio in Berlin, und Kubrick war stets und bis zuletzt eng in die deutsche Bearbeitung seiner Filme eingebunden. Er verfügte, dass die deutschen Sprecher häufig das Atelier verlassen mussten, um Räume aufzusuchen, die der Filmsituation entsprechen. Die Dialogregie übertrug er Filmregisseuren, um die natürlichen Misslichkeiten des stilisierten Schauspiels am Mikrofon besser aufzufangen. Der von Kubrick sehr geschätzte Edgar Reitz, der bei „Eyes Wide Shut“ Dialogregie führte, kommentiert die Synchronarbeit mit der Ton-Angel und sich im Raum bewegenden Schauspielern, ohne die eigene Größe aus dem Blick zu verlieren: „Das kann nur ein Spielfilmregisseur machen. So etwas kann man nicht von einem Synchronregisseur verlangen. (Normalerweise) spielt ein Schauspieler im Bild eine Szene mit dem Einsatz seines ganzen Körpers und seiner ganzen Seele, und der Synchronsprecher steht vor einem Pult, bewegt sich nicht und ist in einer neutralen, völlig anderen Haltung. Das überträgt sich natürlich auf die Stimme. Und Kubrick wusste das.“
Dass Peter Schiff seinen Part am Pult sprechen durfte, ist kein Widerspruch. Schließlich ist HAL der notorisch einsame Insasse einer Blechkiste.

Vorsicht Spoiler: Der abschließende Auftritt von Peter Schiff als HAL (1968). Der blecherne Sound rührt von der Reduktion der Hintergrundgeräusche.

Dieser Beitrag wurde unter Fernsehen, Film, Mikrofonarbeit, Science Fiction abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert