Lobgesänge in der Echokammer

betr.: „Nicht zu früh an die Kamera denken – Eine Lange Nacht über Stanley Kubrick“ von Rainer Praetorius

Es gibt Regisseure, denen eine besondere Ungerechtigkeit widerfährt: sie werden von der Fachwelt unentwegt nur gelobt – für ihre Leistungen sowie für glückliche Zufälle – während ihre Fehltritte geleugnet oder gar verherrlicht werden. So ist es den Heutigen etwa unmöglich, Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese oder Steven Spielberg kritisch zu würdigen. In diese Liste gehört auch Stanley Kubrick, der an diesem Wochenende in der „Langen Nacht“ des Deutschlandfunks portraitiert wird. Ich versäume nie ein Feature über diesen bedeutenden Filmemacher, obwohl ich weiß, dass ich mich im Laufe der Sendung über die erwähnte feuilletonistische Schlafwandelei werde ärgern müssen. Auch diesmal kam ich voll auf meine Kosten.

Gleich zu Beginn geht es anlässlich seines meisterlichsten Meisterwerks „2001: Odyssee im Weltraum“ um die Musik in Kubricks Filmen. Es wird die interessante Überlegung angestellt, wie viele Menschen, denen man heute „An der schönen Blauen Donau“ vorspielt, spontan das wein- und walzerselige Wien vor Augen hätten und wie viele stattdessen den Weltraum.  Wie man sich erinnert, hat Kubrick in seinem Film die Drehungen einer Raumstation im All mit dem Strauß-Walzer unterlegt, was Ende der 60er eine kühne Sache war. Er hat damit dem Weltraum, der in der Popkultur seit Lovecraft Ausgangspunkt von Paranoia und drohender Invasion gewesen ist,* Grazie und Schönheit (zurück)gegeben.
Soweit – so richtig. Doch dann beginnen die Unziemlichkeiten. Die Science-Fiction-Filme früherer Zeiten werden nicht nur pauschal unterhalb von „2001“ eingeordnet, sie hatten angeblich „keine künstlerische Bedeutung. (…) Kaum einer dieser Filme erfüllte intellektuelle oder filmtechnische Mindeststandards“.** Parallel dazu wird deren Filmmusik diskreditiert, und ausgerechnet Bernard Herrmann muss als Beispiel für das gottlob untergegangene Niveau herhalten.*** Auch dieser Autor kann Kubrick nicht loben, ohne einen nihilistischen Dünkel vorzuschützen, der alles Kubrick Vorangehende oder ihn Umgebende plattmacht. Dass Stanley Kubrick viele seiner musikalischen Effekte aus der Technik bezog, bereits vertraute Musikwerke einer Text-Bild-Schere zu unterziehen, macht einen Vergleich mit der Verwendung von Originalmusik, die erst auf den Film komponiert wird, ohnehin zu einer schiefen Angelegenheit. Dass Kubrick mit Vorliebe einschmeichelnde Klänge mit krassen und widerwärtigen Bildern kombinierte – in der ersten Stunde der Sendung gibt es viele derartige Beispiele – wird nicht etwa als (legitimer) modus operandi betrachtet, sondern als Zeichen der Überlegenheit und als Quell immer neuer Überraschungen gefeiert.

Die gibt es in der „Langen Nacht“ immer seltener. Die 3. Stunde (sie war so ähnlich als einzelne Sendung bereits im Deutschlandfunk zu hören) kreist ausschließlich um „2001“, ein wichtiges Thema auch der 1. Stunde. Dazwischen geht es um Kubricks letzten Film „Eyes Wide Shut“, bei dem sich wenige ergebene Zeitzeugen bzw. Angehörige sehr lang und besinnlich erinnern.
Der Rest des Kubrick’schen Vermächtnisses wird eher gestreift. Er fühlt sich irgendwie nicht so wichtig an. Etwas mehr hatte der Meister dann doch auf der Platte.

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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2018/03/15/aus-der-finsternis/
** Eine ausgewogenere Einordnung findet sich unter https://blog.montyarnold.com/2015/10/14/miss-froy-und-das-paranoia-kino/
*** Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2018/08/06/wo-nie-ein-taktstock-zuvor-gewesen-ist-der-komponist-bernard-herrmann-7/

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