Howie ist auch noch auf

Fernsehkritik „50 Jahre ZDF-Hitparade“

„Lieber Dieter Thomas Heck,
gib uns eine Chance in deinem Gruselkabinett!“

Refrainzeile aus einem NDW-Schlager auf die Melodie „Hejo! Spannt den Wagen an“

Wie unfähig das Fernsehen ist, sich selbst zu feiern, haben einige von uns vor nicht langer Zeit erlebt, als die vierteilige Horrorshow zum 60. Geburtstag des Zweiten Deutschen Fernsehens unter dem zynischen Titel „Wir lieben Fernsehen“ ausgestrahlt wurde. So ist es niemandem zu verübeln, wenn er gestern abend keine Lust hatte, der Jubiläumsshow „50 Jahre ZDF-Hitparade“ beizuwohnen. Wer es doch tat, hat sich vielleicht kurz erschreckt beim Anblick des frisch bezogenen „Wetten dass ..?“-Sofas und kurz gewundert beim Auftritt des dazu passenden Moderators Thomas Gottschalk; der war schließlich immer vorne mit dabei, wenn es galt, den Deutschen Schlager einzuseifen. Doch – es geschehen noch Zeichen und Wunder – diesmal stimmte einfach alles!

Die Gäste wurden in Zehnjahresblöcken präsentiert und ihren Anlagen gemäß gefordert. Die begründete Befürchtung, Gottschalk könnte sie nicht ernst nehmen und ihnen ständig ins Wort fallen, erfüllte sich nicht. Das Wiedersehen mit den ollen Zirkuspferden war heiter und schmerzfrei (nur Heino war so namenlos gruselig war wie sich das gehört). Besonders gut in Form waren die Dinos aus den frühen Tagen der Sendung. Bei der Duo-Darbietung der Powerfrauen Wencke Myhre und Bonnie Tyler, die sich den Hit „Lass mein Knie, Joe“ zweisprachig aufteilten, dachte ich für einen Augenblick: Sowas können die Privaten nicht. Was mich besonders überraschte, war, dass alle Gäste wirklich in die Sendung hineingehörten. Nur ein einziger deplatzierter Comedy-Gast wurde eilig von sich selbst abgefrühstückt. Auch das Wahrhaftige hatte in diesem Hochamt der Seichtigkeit seinen Platz: Gottschalk musste sich von Howard Carpendale für seinen jahrelangen Anti-Schlager-Agitprop auf offener Bühne knuffen lassen, was ihn buchstäblich bis zur Schlussmoderation umtrieb.
Die verstorbenen Ikonen der Sendereihe wurden in einer Collage mit Live-Geigerin gewürdigt, so dass ich bis auf Costa Cordalis niemanden vermisste.

Bei aller gebotenen Nostalgie schaffte es die Sendung, sich wie ein Produkt unserer Tage anzufühlen. Lediglich die rührselig hingestammelten Off-Texte der Zuspielfilme erinnerten an die Zeit, da das ZDF es offensiv auf ein möglichst hohes Durchschnittsalter seiner Zuseher anlegte.

Man hat sogar ein bisschen was gelernt! Die eingeblendeten Postadressen der frühen Jahre zeigten mitunter tatsächlich Adressen der Stars – oder deren Familien. Marianne Rosenberg bekannte, nicht alle Autogrammwünsche selbst beantwortet zu haben – „ging einfach nicht“ – und ihre zahlreichen Geschwister dafür eingespannt zu haben. Howard Carpendale lobte Dieter Thomas Heck für die Fairness, alle Stars ungeachtet persönlicher Zu- oder Abneigung gleich feurig anmoderiert zu haben. Die Abkürzung „TED“ bedeutet „Teledialog“. Und „Mein Gott, Walter“ von Mike Krüger gab es nie als Single zu kaufen – nur für die Musikautomatenbranche wurden sagenhafte 80.000 Stück gepresst.

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