Die Zeiten sind andere

betr.: „Der Narr macht Ernst“, DER SPIEGEL 29 / 2019

Der aktuelle „Spiegel“ denkt über den Entertainer Jan Böhmermann nach und dieser über die Wandlungen, denen sein Thema unterworfen ist. „Sein Thema“, das ist einerseits das Fernsehen, andererseits die Comedy (bzw. „Unterhaltung“) und außerdem die Frage, wie man sich bei alledem politisch positioniert. Dass Kunst a priori unpolitisch sei, hat sich außerhalb der klassischen Musik schon mehrfach als frommer Wunsch erwiesen, zuerst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Comedy war Anfang der 90er Jahre eine Neuauflage des Kabaretts und machte sich von dessen Anspruch frei, etwas zur Tagespolitik sagen zu wollen. Sie setzte ganz offensiv auf das Private. „Das Private“ bedeutete: es ging um den Alltag, denn auch Comedians sind Menschen, die in Frieden und einem gewissen Wohlstand leben und kein nachgerade aufregendes Leben führen. Man sollte annehmen, dass das Publikum genau dies gerne hinter sich lassen möchte, wenn es eine Eintrittskarte kauft. Doch es hat sich nie beklagt. Wie lange kann das noch gutgehen? Der Comedy-Boom ist ja nun auch schon wieder ein Vierteljahrhundert her.

Längst lösen sich die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy ebenso auf wie die zwischen Mediensatire (Böhmermanns angestammter Platz) und Gesellschaftskritik, zwischen Parteienschelte von der Bühne herunter und im Netz (Rezos angestammter Platz).
Einem verwegenen Typen wie Böhmermann kann so etwas nicht egal sein. Der Artikel beobachtet ihn dabei, wie er folgerichtig immer politischer wird.

Als Donald Trump sein Präsidentenamt antrat, war oft zu lesen, nun begänne wieder einmal eine „paradiesische Zeit“ für Comedians. Das stimmte in den USA, wo Comedians ohnehin niemals ganz unpolitisch sind und Trump tatsächlich regiert. Die Furore, die die dortigen Entertainer mit ihren Parodien machten, war schon deshalb berechtigt, weil der Präsident ihnen die Freude machte, sich öffentlich darüber aufzuregen.
Bei uns funktioniert das nicht, denn eine so offensichtlich groteske Figur wie Donald Trump ist mit den Maßstäben kabarettistischer Entrüstung nicht zu greifen. Über Hinweise der Qualität „Der hat eine Frisur wie ein toter Hund.“ kamen weder unsere Kabarettisten noch unsere Comedians hinaus. Ähnlich verhält es sich, wenn sich diese über die AfD aufregen. Unsere „Populisten“ (um diesen verniedlichenden Begriff zu gebrauchen) funktionieren ja gerade dadurch, dass sie auf all das pfeifen, worüber sich Demokraten und Kabarettisten so entrüsten – und dass sie trotzdem gewählt werden.

Insofern ist ein Böhmermann-Zitat besonders interessant, in dem es nicht um Populisten, sondern um seine eigene Zunft geht: eine 1:1-Kunstfigur wie Harald Schmidt konsequent durchzuhalten, sei heute nicht mehr möglich*: „Wir stehen nicht mehr oben an Deck in der Kapitänsuniform und lachen über die Trottel (…) im Maschinenraum, sondern wir stehen im Maschinenraum. Und die Maschine verliert Öl und Kühlwasser“. – Und dabei hat er noch gar nichts dazu gesagt, wie Schmidts Witze über die „Trottel im Maschinenraum“ damals auf das Selbstverständnis der heutigen Populisten gewirkt haben könnten.
Vielleicht wird es ja wirklich wieder spannend im Fernsehen, in der Comedy und im Netz. Vielleicht sogar „paradiesisch“.

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* Noël Coward sah das schon vor knapp 100 Jahren kommen. Siehe dazu: https://blog.montyarnold.com/2014/12/16/noel-coward-und-die-erfindung-des-promis/

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