Noël Coward und die Erfindung der Prominenz

betr.: 41. Todestag von Noël Coward

Wenn man Noël Coward betrachtet – ein hochkreativer Darsteller und Erfinder seiner selbst, homosexuell und exzentrisch, ein Dandy mit einem enormen Talent zur Komödie, der im Londoner West End Erfolge feierte – fällt einem schnell ein historischer Vorläufer ein: Oscar Wilde. Wilde verbrachte sein komplettes Leben im Viktorianischen Zeitalter und hielt sich wegen seiner Erfolge und seiner Popularität für unantastbar. Er forderte die Gesellschaft heraus, und bald darauf tanzten jene, die so gern über seine Späße lachten, um den Scheiterhaufen, auf dem er verbrannt wurde (– bildlich gesprochen). Die Lebenszeiträume von Wilde und Coward überlappen sich nur um ein Jahr. Coward, dem dieses tragische Beispiel eine Lehre gewesen sein muß, entwickelte eine Methode, die es ihm ermöglichte, er selbst zu bleiben und damit durchzukommen.
Heute steht er in dem Ruf, nichts Beständiges, keinen abendfüllenden Geniestreich hinterlassen zu haben. Mindestens zwei Beispiele sollte man sich in diesem Zusammenhang m.E. noch einmal aus der Nähe ansehen. Die Operette „Bitter Sweet“, Cowards größter Erfolg als Autor und Komponist im englischen Sprachraum (- ich kenne sie nur als umfassende CD-Einspielung), und sein Drama „Brief Encounter“.* Hiervon gibt es eine Filmversion, die er als Produzent an den Regisseur David Lean übergeben hat. Im Kindesalter sah ich diesen Film zum ersten Mal, dann erst wieder knapp vierzig Jahre später, zusammen mit meinen Filmclub-Nerds. Ich staunte darüber, dass mir noch ein Dutzend Zeilen aus dem Dialog in Erinnerung war, darunter die Schlußpointe. Und ich freute mich, dass der sehr bunten Runde dieses Melodram von 1945 so großen Eindruck machte. (Mit der gleichen Gruppe sah ich übrigens unlängst „Brandung“ mit dem Ehepaar Liz Taylor / Richard Burton. Noël Cowards auftritt als Hexe war der einzige Lichtblick in diesem ansonsten völlig verunglückten Schinken.)
Aber den bleibenden Wert dieses Künstlers als Autor können andere, klügere Köpfe besser beurteilen als ich.

Mir geht es heute um eine gänzlich unbesungene gesellschaftliche Leistung Noël Cowards. Sie lag auf einem Gebiet, für das es einen Ausdruck gibt, der durch intensiven Mißbrauch in der Gesprächskultur der 70er und 80er Jahre praktisch unbenutzbar geworden ist: er war ein wirklicher Lebenskünstler. Und bevor Sie dieses gruselige Unwort von meiner Seite fegt, biete ich noch einen zusätzlichen Blickwinkel an: er ist der Erfinder des „Promis“. Und beides hängt miteinander zusammen.
Coward übertrug das Mittel der Maske, der Persona, von der Bühne auf sein öffentliches Auftreten. Er vermittelte dem Publikum das Gefühl, der androgyne Paradiesvogel, der sich auch schonmal im schicken Bademantel den Fotografen präsentierte, sei privat vielleicht so ähnlich, vielleicht aber auch völlig anders. (Die Bademantel-Nummer hat Hugh Hefner später tüchtig ausgebaut.) Auf diese Weise wurden ihm seine homosexuellen Subtexte nicht zum Vorwurf gemacht. Noël Coward war cool. Er war eine der ersten „Celebrities“ des 20. Jahrhunderts und
die erste, die ihre Eitelkeit in einem speziell kreierten Outfit inszenierte – so machen es seither Kollegen wie Udo Lindenberg, Madonna, Atze Schröder und Lady Gaga.

Zu gerne würde ich jetzt noch auf seine Modernität eingehen, auf die „bright young people“, die seine frühen Stücke bevölkerten. Es waren die ersten Bühnenheldinnen und -helden um die zwanzig (wie der Autor selbst), die ganz selbstverständlich auf Augenhöhe mit den älteren Charakteren agieren konnten. Das war Cowards Reaktion auf die Tatsache, das Anfang der 20er Jahre ein Männermangel herrschte, wie er nach großen Kriegen üblich ist, und dass nun die ältesten Söhne zu den Oberhäuptern ihrer Familien aufstiegen. – Aber dazu ist hier und heute leider nicht genug Platz.**

1969 wurde Noël Coward von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen, ohne seine leicht tuntigen Manierismen abgelegt zu haben. In den letzten Jahren seines erfüllten Lebens genoß er wohl eine ähnliche Verehrung wie später der reife Peter Ustinov, ein anderer universalbegabter Entertainer und britischer Weltbürger. Wir erinnern uns: wenn Unstinov persönlich in Erscheinung trat – z.B. als Gast auf einer Gala oder in einer Fernsehsendung -, dann traten seine zahlreichen Filme und Theaterstücke in den Hintergrund, und der Meister selbst war die größte Schau. Beide tingelten im Alter mit Soloprogrammen, steckten voller Anekdoten, hatten Charme, Herzensgüte und Tiefgang. Bei Coward kam noch das musikalische Element hinzu.
Noël Coward – er war 22 Jahre älter als Ustinov – starb 1973, und schon zehn Jahre später war er hierzulande praktisch vergessen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann und wo ich seinen Namen erstmals bewußt aufgeschnappt habe, aber als ich Anfang der 80er Jahre bei einem Ausflug mit meiner Berufsschulklasse in einem Frankfurter Antiquariat einen dicken Sammelband mit den wichtigsten Coward-Songs ergatterte, war ich schon mächtig stolz. Ich kannte damals noch keinen einzigen davon, aber einige Jahre später nahm ich das Buch beim Anhören der Aufnahmen immer wieder zur Hand, um die Texte und Noten mitzulesen, damit mir nichts entgehen möge.
Kein Songschreiber – abgesehen vielleicht vom amerikanischen Kurt Weill – bewegt mich so tief. Coward ist messerscharf in seiner Satire, aber er hat seinem gelehrigsten und begabtesten Schüler Stephen Sondheim diese große Wärme voraus. Niemals kommen sich seine Bosheit und sein Humanismus ins Gehege – keine Ahnung, wie er das macht.

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* In einer Umfrage des British Film Institute unter Fachleuten nach den 100 besten britischen Filmen landete diese Adaption von Cowards Kurzdrama „Still Life“ auf dem 2. Platz hinter „Der dritte Mann“ von Carol Reed.
** Wer über den Menschen und Entertainer Coward noch ein wenig weiterlesen will, dem empfehle ich das ihm gewidmete Kapitel in „Dicke Lilli – gutes Kind“, der Autobiographie von Lilli Palmer.

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3 Antworten zu Noël Coward und die Erfindung der Prominenz

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