Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben.
Dr. Strange – Die Welt des Dr. Seltsam
von Daniel Wamsler
http://dassagtenuff.blogspot.com/ (Fortsetzung vom 1.1.0.2019)
Dr. Strange von Steve Ditko (Strange Tales # 119)
Im Oktober 1975 begann die wohl die kreativste Phase des Williams-Verlags. Gleich vier Serien wurden neu gestartet, darunter „Der Eiserne“ (Iron Man), „Dr. Strange“, „Planet der Affen“ und DCs „Die Grüne Laterne“. Die Redaktion machte sich die Mühe und verfasste für jede der Erstausgaben ein eigenes einleitendes Vorwort, in dem erklärt wurde, wie die Serien entstanden und aus welchen US-Heften die Vorlagen stammten. Für „Planet der Affen“ und „Die Grüne Laterne“ richtete man separate serienbezogene Leserbriefseiten ein. Alles in allem ein mutiger Schritt und ein enormer Aufwand, der letztlich leider nicht belohnt wurde, da mit Ausnahme des Affen-Magazins alle Reihen schon nach einem Jahr eingestellt wurden. Im Folgemonat ereilte „Planet der Affen“ dasselbe Schicksal.
„Doktor Strange der Magier“ begann mit der Nacherzählung der Origin-Story aus US-„Doctor Strange“ # 169. Seine bisherigen Abenteuer waren ab # 110 in „Strange Tales“ gelaufen und mit der # 169 hatte er Serientitel und Nummerierung übernommen. Die erste „neue“ Episode zeichnete der frisch von der Kunstschule gekommene Branchenneuling Tom Palmer. Tom war sich zu diesem Zeitpunkt nicht schlüssig, ob er lieber zeichnen oder inken wollte. In den Credits wurde an seiner Stelle der durch „Sub-Mariner“ und andere Arbeiten für Marvel bekannte Dan Adkins, von dem die Tuschezeichnungen zu „Doctor Strange“ # 169 stammten, verewigt. Zur Freude aller Fans entschied sich Tom fürs Inken. Seine besten Arbeiten entstanden zusammen mit Gene Colan, wo er die düstere Stimmung für „Daredevil“, „Dracula“ und „Dr. Strange“ perfekt umsetzen konnte.
Williams hatte versprochen, als Zweitstorys die alten „Dr. Strange“-Kurzgeschichten des Teams Stan Lee/Steve Ditko aus „Strange Tales“ (# 110, 111, 114ff) zu veröffentlichen, womit im deutschen „Dr. Strange“ Nr. 4 begonnen wurde. Die ersten drei Storys hatten einen Umfang von gerade einmal fünf Seiten und angeblich war der Doktor auch nicht als Serie geplant gewesen, sondern sollte einfach eine Geschichte unter vielen sein. Bei Williams erschien in Nr. 7 Lee und Ditkos achtseitige Version der Herkunft des Magiers, an der sich Roy Thomas und Tom Palmer orientiert hatten. Ursprünglich sollte der Meister des Okkulten „Mr. Strange“ heißen, da dies aber zu banal und zu sehr nach Reed Richards klang, entschied Stan Lee sich dafür, den Namen eines kurze Zeit vorher in „Tales Of Suspense“ # 41 erschienenen Bösewichts „auszuleihen“. Weil diesmal nicht Stan Lee sondern Steve Ditko der geistige Vater des Helden war, erhielt er ihm zu Ehren den Vornamen „Stephen“. In kürzester Zeit hatte Dr. Strange die Menschliche Fackel, deren Solo-Abenteuer ebenfalls in „Strange Tales“ erschienen, auf Platz 2 der Rangliste verdrängt. Somit stand einer Titelübernahme nichts mehr im Weg. Einige Fans nahmen damals an, Stan und Steve hätten unter starkem Drogeneinfluss gestanden, denn wie sonst hätten die beiden solch mystische Welten und unbekannte Dimensionen erschaffen können?!
Dr. Strange # 179 in der Williams-Version mit Cover von Barry Windsor-Smith.
Stille …
Nach der Williams-Zeit bekam man Dr. Strange, zumindest in Deutschland, lange nicht zu Gesicht. Erst als der Condor-Verlag 1983 mit der Reihe der „Defenders“ in den Hulk-Taschenbüchern (ab Nr. 9) startete, war auch Dr. Strange als Mitglied dieses Superhelden-Teams wieder mit von der Partie. Eine Episode aus „Dr. Strange Sorcerer Supreme“ # 28 „verirrte“ sich Anfang der 90er Jahre in eine Ausgabe von „Ghost Rider“, als der Bastei Verlag über die Marvel-Lizenzen verfügte („Ghost Rider“ Nr. 13 – „Tanz der Dämonen“). Eines der Highlights jedoch war das Crossover aus ASM Annual # 2, veröffentlicht 1999 innerhalb der Panini-Reihe „Spider-Man komplett“. Leider vertauschte der Verlag die letzten beiden Seiten, und ältere Leser kannten die Story schon aus Williams‘ Dr. Strange Nr. 11 (Doctor Strange # 179, einem US-Reprint), dessen Vorlage eben aus diesem Annual stammte: „The Wondrous World Of Dr. Strange!“ ein Lee/Ditko-Klassiker, der seinesgleichen sucht. Im Zuge der „Marvel Knights“ erschien Dr. Strange im Jahr 2000 für kurze Zeit wieder in Deutschland. Einmal als „Marvel Jubiläum Comic“ mit Reprints der ersten vier Storys aus „Strange Tales“ # 110-115 und schließlich als „Dr. Strange (Vol. II)“ # 1 veröffentlicht unter dem deutschen Titel „Flüchtige Gaben“ (Marvel Deutschland/Panini).
Hier folgt die Checkliste mit den klassischen deutschen Dr. Strange-Ausgaben 1975 – 1995 als PDF.