Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (25)

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin bzw. einen gewissen John. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten Mitte der 90er Jahre.

Cleopatra und die geheimen Spender

Wie immer in dieser Zeit (erst nach Feierabend bei FMS gegen 20 Uhr) war ich im Studio. Was ich zu hören bekam, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Die Tonqualität war dermaßen schlecht, dass ich das Projekt als gestorben betrachtete. TK war ein bisschen beleidigt, fühlte sich aber auch herausgefordert. Bei der folgenden Diskussion in einer Kneipe in der Hamburger Neustadt kam er dann auf den Punkt: er hatte in den USA eine ganze Reihe von Kontakten geknüpft, alles Leute aus der Film-, Filmmusik- und Plattenbranche. Er könne ja mal versuchen, eine Kopie der „Cleopatra“-Originalbänder aufzutreiben.

Nach etwa zwei Wochen trafen wir uns wieder, um die Unterhaltung fortzusetzen. Er hatte jemanden gefunden, der eine Kopie der Originalbänder in seinem Besitz hatte. Und nicht nur das. Thomas hatte eine kleine Liste mit Titeln mitgebracht, die wir auch noch machen könnten. Unglaublich! Darauf standen Arbeiten von Goldsmith, Williams, Rózsa, Newman, Steiner … Angeblich alles Kopien der Studiobänder in hervorragenden Qualität, der Traum eines jeden Produzenten. Neben der Qualität hatten die Titel noch zwei weitere Besonderheiten: jedes Band kostete mindestens 5.000 $ („Cleopatra“ kostete 10.000), und über die Herkunft der Bänder hatte absolutes Stillschweigen zu herrschen. Prinzipiell konnte ich mit diesen Bedingungen leben, doch die unsterbliche Frage stand im Raum: wer soll das bezahlen?
Die Antwort kennst Du.

„Cleopatra“ kam als eine auf 2222 Stück limitierte Auflage in den Handel, die anderen in der neuen TCI (Tsunami Collector´s Item)-Reihe mit einem höheren Preis. Und die Sammler akzeptierten es. Mit Tsunami hatten wir eine neue Qualität erreicht. Die zweite Bedingung hielt Thomas ein. Meines Wissens hat er nie mit irgendjemanden über die Namen seiner Lieferanten gesprochen, auch mit mir nicht. Er löste dieses Dilemma auf seine diskrete Art und Weise. Als er von seiner Krankheit und dem unausweichlichen Tod erfuhr, erklärte er mir eines Abends in seiner Wohnung, er wolle nur mal gerade zum Lebensmittelhändler an der Ecke. Ich könne mir derweil ja eine Platte anhören. Ich suchte mir eine CD aus seiner umfangreichen Sammlung, legte sie in den Player und die Box auf den kleinen Tisch. Dabei fiel mein Blick auf einen kleinen Stapel von Überweisungsformularen. Aus diesen Papieren ging ganz klar hervor, wann er wem welchen Betrag zu welchem Zweck überwiesen hatte. Die meisten Namen kannte ich aus der Soundtrack-Branche. Als Thomas zurückkam, nahm er die Papiere wortlos an sich, packte sie in seine Schreibtischschublade und meinte, er habe nun alles für das Essen besorgt. Wir gingen in die Küche und begannen gemeinsam zu kochen.
Über diesen Vorfall haben wir niemals gesprochen, und ich möchte ausdrücklich betonen, dass auch ich mich an Thomas´ Verspechen gebunden fühle.

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