Geschichte des Komiker-Handwerks (54)

Fortsetzung vom 14.10.2020

Einige Jahre lang hatte ich die Slam-Szene aus den Augen verloren, und mein Eindruck drohte zum Vorurteil zu verschwimmen. So besuchte ich wenige Wochen vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Hamburg einen Poetry Slam, um mir ein frisches Bild zu machen und vielleicht sogar richtig auf den Geschmack zu kommen.

Der Moderator der Show legte gleich zur Begrüßung Wert darauf, durch ein besonders prominentes Ereignis dieser Sparte zu führen. (Das freute mich hinsichtlich der Belastbarkeit meines angestrebten Updates!)
Was folgte, hatte mit Poetry Slam nichts zu tun. Es kamen ausschließlich umgangssprachliche Monologe zum Vortrag, die stilistisch keinerlei besondere Ambition verrieten, frei dahergeplauderte Texte zu den üblichen Alltagsthemen: Sex und Partnerschaft, Suche nach Sex, Autofahren, Parkplatzsuche, Einkäufe im Supermarkt, soziale Medien … Hin und wieder wurde kurz auf die von rechts bedrohte Demokratie angespielt, aber das geschah nur als Einwurf und ließ keinerlei persönliche Haltung erkennen.

Die Jury wählte immerhin die beiden Mitwirkenden aus, die sich am unterhaltsamsten geschlagen hatten. Dann geschah etwas Bemerkenswertes: als Zugabe brachte der Sieger den ersten Text des Abends, der nach meiner Einschätzung die Gattungsvoraussetzungen erfüllte. Einen Text, der nicht nur Poetry hatte, sondern auch inhaltlich etwas verwegener war. Und unterhaltsam war auch!
Doch wohlgemerkt brachte der Kollege ihn erst, als die Wertung feststand und ihm nichts mehr passieren konnte.
Das ließ für mich nur einen Schluss zu: die Teilnehmer – zumindest die erfahreneren – hatten alle etwas geeignetes Material in der Tasche, hüteten sich aber, damit in den Wettbewerb zu gehen, weil die erwartete Erwartung des Publikum längst in einem allgemeinen Comedy-Grundrauschen versunken ist. Niemand wollte mit jemandem konkurrieren müssen, der einfach mit Jokes gegen Lyrik antritt. Es frustrierte mich, dass das außer mir niemanden zu stören schien. Auch den Moderator und Spielleiter nicht, der sich durchaus als frech verkaufte, aber nicht einmal kritische Andeutungen in diese Richtung machte, obwohl ihm auch die Überwachung der Spielregeln oblag.

Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vincit“

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