Ixen für Anfänger: Genderfragen in der Off-Sprache

Wer zwei literarische Hörbücher aufnehmen möchte, sagen wir eines von Jane Austen und eines von Jack London, der wird sie entsprechend besetzen: das Erstere mit einer weiblichen, das andere mit einer männlichen Stimme. Jede der beiden Stimmen kann sich instinktiv auf die jeweilige Erzählperspektive einlassen.
Was aber, wenn es genau umgekehrt wäre?
Der Roman „Wuthering Heights“ von Emily Brontë ist abwechselnd aus einer männlichen und einer weiblichen Perspektive geschrieben. (Die Autorin hielt übrigens – wie auch die Kollegin Jane Austen – ihr Geschlecht in der Erstausgabe geheim, um den viktorianischen Zeitgeist nicht zu überfordern.) Wenn nun ein einzelner männlicher Sprecher das ganze Buch allein lesen sollte, wie würde er sich in den weiblichen Passagen verhalten? 
In einem solchen Fall muss man am Mikrofon die geschlechterspezifischen Spielräume etwas zurücknehmen ohne zu unverwandt zu klingen. Es ist ein Spagat, der sich natürlich nicht wie ein solcher anfühlen darf.

Der Erzähler, der nicht dabeisein darf: „Lifeboat“ war der einzige Film, in dem Hitchcock nicht persönlich mitwirken konnte, um seinen klassischen Kurzauftritt zu absolvieren. Er erschien nur in einer Anzeige für Schlankheitsmittel.

Eine weibliche Stimme hätte im umgekehrten Fall das gleiche Problem. Ein männlicher Sprecher, der eine typische Expedition in die Jack-London’sche Wildnis schildert, ist in einer solchen Situation gut vorstellbar. Selbst wenn der Text nicht in der Ich-Form erzählt ist, können wir uns denken, wie der „allwissende Erzähler“ zu seinem Wissen gelangt sein dürfte: als Zeuge, als unerwähnter Beobachter. Mit einer Erzählerin ginge das nicht. Sie müsste uns also durch die Diskretion ihres Vortrags diesen Widerspruch vergessen lassen.
Solche Einschränkungen eignen sich nicht als Thema der heute so beliebten Genderdebatten. Dass historische Strukturen unseren heutigen Gefühlen von Gleichberechtigung und Geschlechterauffassung nicht mehr entsprechen – dass sie im Sinne des Wortes „überkommen“ sein mögen-, hat uns bei der werkgetreuen Arbeit mit einer klassischen Vorlage, die die sozialen Verhältnisse aus ihrer Entstehungszeit schließlich mitbringt, nicht zu interessieren. Sie zu missachten, wäre kein Akt einer aktuellen Bearbeitung, sondern würde das Kolorit des Textes zerstören.

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