Vladimir Nabokov zurück in der Werkstatt

betr.: Sebastian Krämer vertont Vladinir Nabokov

Kürzlich habe ich mich an dieser Stelle über nicht-singbare Übersetzungen des Repertoires von Georges Brassens ärgern müssen.* Gestern lauschte ich einer Vertonung, bei der mir gar nicht auffiel, dass die Übersetzung sich (noch) nicht reimt – sowas gibt es also auch.
Der Poetry-Slammer und Chanson-Künstler Sebastian Krämer beschäftigt sich derzeit mit einem Autor, der vielen von uns als Poet noch gar nicht aufgefallen ist: Vladimir Nabokov. Krämer vertont und übersetzt die Gedichte des großen Romanciers und Dramatikers. Nabokovs Gedicht „The Poem“ (man findet es vollständig im Internet) hat bereits in der Rohübersetzung einen melodischen Schwung. Krämers Komposition trägt bisher noch den Originaltext.


Nicht das Sonnenuntergangsgedicht, das du laut vor dich hindenkst
mit seinem getuschten Lindenbäumen
und den Telegraphendrähten vor einer rosa Wolke;

Nicht dein innerer Spiegel und ihre zarte entblößte
Schulter, die noch darin schimmert;
nicht der lyrische Takt eines Taschenreims –
die winzige Musik, die dir die Zeit ansagt;

Und nicht die Münzen und Gewichte auf diesen
im Regen gestapelten Abendzeitungen;
nicht die Dämonen fleischlichen Schmerzes;
nicht das, was man so viel besser in schlichter Prosa sagen kann –

Sondern das Gedicht, das von unbekannten Höhen stürzt
– während du auf das Platschen des Steins tief unten wartest
und nach deinem Stift wühlst,
und dann kommt das Beben, und dann –

Im Gewirr der Klänge verschmelzen die Wortleoparden,
die blattartigen Insekten, die augenfleckigen Vögel
und bilden ein leises, eindrückliches,
mimetisches Muster perfekten Sinns.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2022/04/08/20400/

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