Erinnerung an Effi Effinghausen (1)

Am übernächsten Sonntag wird im POLITTBÜRO der 70. Geburtstag von Effi Effinghausen nachgefeiert (der coronabedingt um zwei Jahre verschoben wurde).
Deshalb gibt es in dieser Woche Souvenirs von und über Effi.


Vorwort

Die Leute vom Café Tuc Tuc

Das Café Tuc Tuc in der Hamburger Oelkersallee war weder die erste noch die letzte gastronomische Wirkungsstätte von Effi Effinghausen. Doch sie war die schillerndste, wenn auch das Internet wenig darüber zu erzählen weiß. (Effi selbst hat nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag.)
Obwohl ich mich an die letzten Jahre dieses Lokals noch erinnere, wollte ich also Zeitzeugen anhören, als ich die heitere Gedenkfeier, die am 29.5. (eine Woche vor Effis 72. Geburtstag) stattfinden soll.

Vorweg sei gesagt, dass das Tuc Tuc ab dem 10.6.1999 Hamburgs erstes schwules Lokal war, das auf die obligatorischen verdunkelten Fenster, die Türklingel und den Türspion verzichtete. (In der Innenstadt gab es schon zuvor das Café Spund, doch das war und ist ein Tagescafé.) Ebenso verzichtete das Tuc auf schummrige Ecken oder einen Darkroom – was die Gäste nicht daran hinderte, viel Sex miteinander zu haben, wie sich Lisa Politt erinnert.
Eine von außen einsehbare Homo-Kneipe lockte regelmäßig randalierendes homophobes Volk an, und die Polizei kam (so ein geflügeltes Wort jener Jahre) immer erst, wenn alles schon vorbei war. Das Personal musste selbst zum Tränengas greifen, um sich zu verteidigen, wenn nicht – wie an einem Silvesterabend – Nina Hagen unter den Gästen war und die Meute im Alleingang in die Flucht schlug.
Die Betreiber gingen nahtlos in die Riege der Kulturschaffenden über, die die kleine Bühne bespielte, und diese wiederum in das Publikum, das kam, verzehrte und feierte. Der damalige Sprachgebrauch fasste die drei Gruppen unter dem Begriff „Subkultur“ zusammen.
Mein Kölner Kollege Pelle Pershing war damals Zivildienstleistender im Hamburger Umland und kannte das Tuc Tuc von seinen Besuchen an den Wochenenden. Bald war er auch eng mit den Protagonisten unserer Geschichte befreundet. Er erlebte die junge Georgette Dee (die hier ihren ersten öffentlichen Auftritt gehabt haben soll), amüsierte sich über Gunter Schmidt – „Gunter sah aus wie ein Rauschgoldengel und  war geradezu überirdisch talentiert. Er spielte, sang, war unfassbar komisch und dabei so elegant und sophisticated. Ich habe es unendlich bewundert, wie er so leichtfüßig auf Pumps mit seinem gefühlt 200 Kilo schweren Akkordeon über die Mönckebergstraße stöckelte – was damals wirklich mutig war. Der CSD hieß noch „Stonewall“ und war eine Demonstration, keine Party.“ – und an den ambitionierten Theatermacher Ernie Reinhardt, der den Formationen „Transitiv“ und „Familie Schmidt“ angehörte und Cocteau-Stücke auf die freie Bühne brachte. Seine kabarettistischen Verkörperungen gebeutelter Frauen waren so erschütternd wie komisch wie unvergesslich. 1989 hat sich Ernie eine wehrhaftere Figur ausgedacht: Lilo Wanders.
Ernie war es auch, der Pelle ermunterte, selbst auf die Bühne zu gehen.

Pelle erinnert sich weiterhin an untergangene Künstlerperönlichkeiten wie die Knef-Parodistin Hildelore Knuff oder eine mollige Transe namens Schlünzi Bimbam. Sie waren typisch für die Kreativität und den Unterhaltungswert, den viele versteckt lebende Schwule damals als Ventil nutzten, ohne den Mut aufzubringen, dieses Potenzial auch beruflich auszuschöpfen. Sie standen für eine provokant-trashige Tuntenkultur, die aus der heutigen Schwulenszene – oder „Community“ – gänzlich verschwunden ist.
Auch Corny Littmann war in diversen Gruppen engagiert – besonders eindrucksvoll in „Brühwarm“ -, wandte sich aber schon früh der Politik zu.
1980 plante er im Tuc Tuc die Aktion, die zur Aufdeckung der Spitzel- und Rosa Listen-Affäre („Hamburger Spiegel-Affäre“) führen sollte.
Eine Mischung aus beidem war Cornys Job als Türsteher bei der bis zuletzt stets gutbesuchten „Tuc-Disco“. Über die Art wie er das machte, regte sich Rudi Finkler im März 1981 in der Homo-Monatsschrift „Du & Ich“ auf: „Der begnadete Entertainer und ehemalige kämpferische Spitzenkandidat der Hamburger Grünen für den Bundestag, bewacht den Zugang. Wen er kennt, darf rein (…). Unangenehm wird’s für solche, die er nicht kennt und die nicht auf Anhieb als Schwule zu identifizieren sind. (…) ‚Raus mit euch. Immer diese Scheiß-Heteros!‘ (…) Begeisterung rund herum bei denen, die an diesem Abend im Ghetto bleiben durften.“ – Daraufhin wurde der Verfasser dieser Zeilen in der Szene als „Schmutzfinkler“ apostrophiert (was für mich Ahnungslosen zunächst wie ein Kompliment klang). Das Hereinsickern von Milieutouristen war tatsächlich ein Problem, aber das brachte die eingangs beschriebene Offenheit des Kneipenkonzeptes eben auch mit sich.

Schon im Jahr seiner Gründung stieß auch Effi Effinghausen zum Tuc-Tuc-Kollektiv. Er wurde zu der mondänen Persönlichkeit, die den Laden in besonderem Maße repräsentierte und (in der Außenwirkung) irgendwie zusammenhielt, Paradebeispiel eines Typus von Barpersonen, der heute kurz vor dem Aussterben steht. Effi, der das Kulturprogramm im Tuc Tuc maßgeblich kuratierte, engagierte sich in der Hamburger Tango-Szene und trug mit seiner sphärisch schönen Stimme Chansons vor. 1985 tat er sich mit dem New Yorker Eric Gabriel zusammen, der ihn zunächst einfach am Klavier begleitete. Dann überzeugte er Effi, auch eigenes Material zu nutzen. Eric schrieb diese Songs bereits in der Absicht, dass Effi sie übersetzen und vortragen würde. Bis 1992 sollten die beiden es auf gut 40 Lieder bringen.
Pelle Pershing erinnert sich: „Effi war der Weltentrückteste, der / die charismatischste von uns allen. Er war sehr stylish – ich habe Effi niemals mit Basecap oder in Jeans gesehen! Bei alledem hatte er immer etwas Schweres. Er schien auch die künstlerische Arbeit ernster zu nehmen als wir anderen. Effi hatte nicht den anarchischen Humor von Gunter Schmidt. Um den Herrschenden den Spiegel vorzuhalten, war er nicht politisch genug und vielleicht einfach zu feinsinnig. Im Barbetrieb wirkte Effi manchmal, als wäre sein Reich nicht von dieser Welt.“

Pelle, der im Sommer ’81 nach Köln übersiedelte, um dort zu studieren, in eine ganz neue Subkultur eintauchte und seine „Original Pelle Pershing Show“ auf die Beine stellte, gedenkt dieser Zeiten und der Leute vom Tuc Tuc mit zärtlicher Bewunderung und Dankbarkeit: „Sie haben das Nest gebaut für heutige Ganztagsschwule wie Ross Anthony, Bruce Darnell oder wie sie alle heißen.“ 

Dieser Beitrag wurde unter Chanson, Gesellschaft, Kabarett und Comedy, Monty Arnold - Biographisches abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert