betr.: 40. Geburtstag von Lang Lang
Dass Stars der Klassischen Musik heute nicht nur virtuos sondern auch einigermaßen hübsch sein müssen, stört nicht einmal mehr das Feuilleton. Früher brauchte man sie nur gut fotografieren zu können – für das Cover ihrer Schallplatte oder fürs Plakat. Inzwischen reicht das nicht mehr. Sie müssen auch auf bewegten Bildern allzeit bella figura machen, müssten sich theoretisch in einer Endlosübertragung als dauerhafter Hinkucker bewähren. Selbst Dirigenten – die grauen Eminenzen der Branche, bei denen zunehmendes Alter das positive Vorurteil großer Erfahrung befördert (während man als Instrumentalist ja auch ein niedliches Wunderkind sein könnte) – sollten zumindest ein bisschen was hermachen.
Der chinesische Starpianist Lang Lang hat sich in den Jahren seiner Karriere eine kindliche Aura bewahrt. Wenn er in die Tasten greift, wirkt er beinahe erleuchtet, was zu der nicht unwichtigen Illusion der Leichtigkeit beiträgt, die für einen unbeschwerten Kunstgenuss heute so wichtig ist.
Lang Lang vertreibt mit seinem beseelten Lächeln nicht nur die Chimären der knochenharten Überei, er lässt auch vergessen, wie sehr sein Werdegang das Klischee der jungen asiatischen Hochbegabung erfüllt, die von einem ehrgeizigen Erzeuger erbarmungslos gedrillt wird. In seiner Autobiographie berichtet er uns die Einzelheiten. Sein strenger Vater kontrollierte alles, sorgte dafür, dass der Kleine um fünf Uhr früh aufstand und sich ans Klavier setzte. Dass er funktionierte und nicht widersprach. Als der Junge 11 Jahre alt ist, rastet der Vater aus:
„Du kannst nicht in Schande nach Shenyang zurückkehren“, brüllte er. „Alle werden erfahren, dass Du nicht am Konservatorium aufgenommen worden bist! Dir bleibt nichts anderes übrig als zu sterben!“
Ich begann, vor meinem Vater zurückzuweichen. Sein Geschrei wurde noch lauter, hysterischer. „Ich habe meine Arbeit für Dich aufgegeben, ich habe mein Leben aufgegeben! Deine Mutter hungert und arbeitet sich für Dich ab! Und Du übst nicht und tust nicht, was ich Dir sage! Es hat keinen Sinn, dass Du lebst! Nur der Tod wird dieses Problem lösen! Stirb lieber jetzt, als in Schande zu leben! Es wird für uns beide besser sein. Erst stirbst Du, dann sterbe ich!“
Zum ersten Mal in meinem Leben empfand ich tiefen Hass auf meinen Vater…
„Nimm das!“ sagte er und reichte mir ein Gefäß mit Tabletten – ein starkes Antibiotikum, wie ich später erfuhr. „Schluck sofort alle 30 Tabletten. Dann wird alles vorbei sein, und Du bist tot.“ Ich lief auf den Balkon um vor ihm zu flüchten. „Wenn Du die Tabletten nicht nehmen willst, dann spring“, brüllte er mir hinterher. „Spring und stirb!“
Als Kind habe ich meinen Vater gehasst, aber nach und nach habe ich verstanden, dass er und ich denselben Traum hatten. So habe ich allmählich vergessen, was er getan hat.