Warum deutsche Filme so wenig Spaß machen

Dass sich über Geschmack nicht streiten lässt, mag stimmen wenn es um Essen geht – wo ja ganz handfeste Unverträglichkeiten mit hineinspielen. Oder bei Kleidung – wo Anlass, Jahreszeit, Milieu, Alter und Geschlecht sich einmischen.
In Kulturfragen jedoch ist Geschmack ein weitgehend Potemkinsches Dorf, ein Versuch des Herdenmenschen, sich vor sich selbst als Individuum aufzuspielen.

In meinen Jahren als Geschichtslehrer an Musical-Akademien habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass jede/r den Titel der ersten persönlich besuchten Show nannte, wenn es um die Frage ging: Welches ist dein Lieblingsmusical? Ich kann mich an keine einzige Ausnahme erinnern. Selbstverständlich hatte jeder inzwischen auch andere Shows gesehen, doch die mussten sich alle mit diesem ersten Kinderglück messen. Solches mag für Fans vollkommen in Ordnung sein (obwohl auch hier ein persönlicher Geschmack nicht abgerufen wird) – bei angehenden Fachkräften fand ich diese Reaktion stets etwas bedenklich.
Cadwiller Olden brachte es auf diesen Nenner: Es gibt keine persönlichen Geschmäcker, sondern nur besser und schlechter informiertes Publikum. – Wer keinen Vergleich anstellen kann, weil er nur eine Sache kennt und weiterhin nur Vergleichbares sehen will (wie der erstmalige Musical-Besucher), der kann keiner Sache den Vorzug geben. Er muss gut finden, was er in seinem Blickfeld duldet.

In seinem frisch neu aufgelegten Buch „Alte Frauen in schlechten Filmen“* kommt Christoph Domke ganz zum Schluss auf diesen grundsätzlichen Aspekt des Rezeptionsverhaltens zu sprechen  – „Schlecht ist lediglich ein Begriff der Alltagssprache geblieben: Schlechtes Essen, schlechtes Gehalt, schlechte Zähne.“ – und versammelt kluge Stellungnahmen dazu, was einen schlechten Film ausmacht:

… schlecht gemacht, schlecht gespielt, schlecht geschnitten. Dafür gibt es keinen Katechismus. Jean Améry hat zu Recht darauf hingewiesen, dass «gut» und «schlecht» Werturteile sind und «geschichtlich gefroren, stets nur Aussagen über die Beziehung eines Betrachtenden zu einem Gegenstand, nicht aber Urteile, die im Gegenstand selbst begründet wären». Schlechte Filme erkennt der Filmfreund nur durch Erfahrung. «Wenn du jung bist, stehen die Chancen recht gut, dass du in fast jedem Film etwas findest, das dir gefällt», hat die große Kritikerin Pauline Kael geschrieben. «Aber je mehr Erfahrung du sammelst, desto mehr sinken die Chancen. Wenn du nicht gerade schwachsinnig bist, werden die Chancen geringer und geringer.»
Allerdings: Die deutsche Filmproduktion ist für schlechte Filme besonders
anfällig, weil es häufig keine Möglichkeit gibt, den Verdruss durch eine campe Metaebene in einen Genuss zu verwandeln. Ausnahmen bestätigen die Regel. Manchmal altern Filme auch gut in dem Sinne, dass die Zeit gnädig darüber hinweggeht, während der Spaßfaktor sich erhöht (…) etwas dilettantisch, gescheitert am eigenen Anspruch, aber auf wunderliche Weise doch unterhaltsam.

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* Eine Rezension findet sich hier:  https://blog.montyarnold.com/2022/06/07/alte-frauen-in-schlechten-filmen/

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