Begegnung mit Brecht

betr.: 45. Jahrestag der Anfunkt von Manfred Krug im Westen

Diese Anekdote erzählte Manfred Krug 1987 aus Anlass seines 50. Geburtstags dem RIAS.

Es war ja nicht so, dass ich aus der Schauspielschule rausfliegen wollte, ich war ernstlich bestürzt, als es passierte. Das war die erste schwere, auch künstlerische Kränkung meines Lebens. Mein Vater triumphierte; sicher hat er sich auch ein bisschen geärgert, aber immerhin konnte er sagen: „Hab‘ ich doch gleich gesagt! Der Junge verplempert seine Zeit!“
Da stand ich nun alleine in Berlin rum und beschloss, das Berliner Ensemble aufzusuchen, um mich als Eleven aufnehmen zu lassen. Die dazu nötige staatliche Bühnenreifeprüfung würde ich später nachreichen. Das war mein Plan.
Aber Kleindarsteller und Komparsen hatten sie schon genug. Wenn sie jemanden aufnahmen – für übrigens 250 Mark Ost brutto im Monat -, wollten sie ihn auch einsetzten können. Also nahm Brecht diesen jungen Schauspieler persönlich in Augenschein.
Es gab ein kleines Vorsprechen auf der Probebühne hinten im Garten des Hofs vom Berliner Ensemble. Brecht erschien mit seinem Regieassistenten Vogt. Ich spielte etwas vor, was ich an der Schauspielschule eingeübt hatte. „Tanja“ hieß das Stück, ein sowjetischer Autor namens Arbusow hatte es geschrieben. Kurios, an was man sich so erinnert.
Brecht schmauchte ‘ne dicke Zigarre, hörte sich das an und sagte dann etwas unhörbar Leises zum Vogt. Damit war ich angestellt.

Ich wurde dazu vergattert, jeden Tag zu den Proben zu erscheinen. Ich habe überhaupt nicht begriffen, welche Ehre es war, dass ich da zwei Reihen hinter einem Literaturgiganten sitzen und ihm zuhören durfte. Dazu war ich viel zu jung, zu blöd und zu düpiert von der Aufforderung, jeden Morgen aufzutauchen, um im Ernstfall als Lückenbüßer fungieren zu können. Wenn mal jemand fehlte, wurde ich da hochgescheucht und durfte ein bisschen Staffage mimen. Erst seit etwa zwanzig Jahren weiß ich diese Erinnerung überhaupt zu schätzen.

Als das letzte kleine Rädchen an so einem Theaterwagen hatte ich natürlich wenig Berührung mit dem Meister. Eine einzige – allerdings sehr brechtmäßige – Anekdote weiß ich zu berichten. Ich hatte mir autodidaktisch drei oder vier Harmonien auf der Gitarre beigebracht. Nun wurde ein Strittmatter-Stück mit dem Titel „Katzgraben“ inszeniert. Es spielte in der frisch gegründeten DDR auf dem Lande, wo es auch eine kleine FDJ-Gruppe gab. Ich weiß nicht mehr, ob Brecht der Regisseur war. Jedenfalls kam er einmal dazu. Ich hatte hinter der Bühne im Dunkeln ein Lied auf der Gitarre zu spielen. Auf einmal wurde abgebrochen, und Brecht rief aus dem Zuschauerraum: „Wer spielt denn das da?“ Ich kriege ‘nen Riesenschreck hinter meinem Vorhang, trete mit zusammengekniffenen Augen ins Licht und melde mich. Sagt der: „Sie spielen das falsch. Sie müssten doch mindestens sechs oder sieben verschiedene Harmonien greifen und drängen diesem schönen Lied von Hanns Eisler nun drei ganz billige Harmonien auf.“ – „Ja“, sage ich – und denke dann: „Mensch, sei nicht so devot! Sag wenigstens was du denkst!“ – „Das stimmt schon“, sage ich, „aber ich hab‘ mir gedacht, so ‘n FDJler auf dem Kuhdorf ist vielleicht kein gelernter Gitarrist. Der kann vielleicht nur drei Harmonien. Und der wusste ja auch nicht, dass ihm jetzt ein Lied mit sieben unterkommt. Auch noch von Eisler.“ Sagt Brecht: “Klar, das ist ‘n guter Gedanke. Dann machen wir’s aber so: Sie studieren jetzt die sieben richtigen Harmonien ein und lassen die vier dann mit Absicht weg.“

Redigiert von Monty Arnold

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