Das leise Rieseln wirklicher Größe

Zum Tode von Ernst Jacobi

Ernst Jacobi muss ein ganz wundervoller Schauspieler gewesen sein – ich bin hier letztlich auf mein wohlbegründetes Vorurteil angewiesen, denn seine Theaterarbeit habe ich versäumt, und sein Filmschaffen ist erratisch und das wenigste davon ohne weiteres zugänglich. (Ich erinnere mich an eine überzeugende Darstellung in einem insgesamt völlig verunglückten „Tatort“…)
Am Mikrofon ist mir Ernst Jacobi umso vertrauter – wiewohl er vor allem für den Funk gearbeitet hat und im gründlichsten Synchron-Handbuch gar nicht aufgeführt wird.* Die in Jahrzehnten gleichgebliebene feine Brüchigkeit in seiner Stimme lässt mein Herz sogleich höher schlagen, denn sie verknüpfte sich stets mit einer makellosen darstellerischen Leistung.

Der letzte von mir wahrgenommene Auftritt Jacobis könnte glanzvoller kaum sein – und geschah wiederum im Off. In Michael Hanekes „Das weiße Band“ dominiert er von seinem Platz im Dunkeln aus den ganzen Film, indem er einem der Hauptdarsteller (letztlich ist dies ein Ensemblefilm) die gealterte Erzählerstimme leiht, die das Gesehene zu einer großen Rückblende macht.
Was Michael Haneke über die Arbeit mit dem Schauspieler erzählte, rundet mein Bild von diesem geheimnisvollen Meister auf sympathische Weise ab. Diese „zart-heisere“ Stimme sei tatsächlich seine normale Stimme, erläutert Haneke in einem Interview-Band: „Ich bin vor allem auf ihn verfallen, weil es nicht mehr so viele wirklich alte Schauspieler in deutschsprachigen Ländern gibt, die ihren Beruf noch ausüben. Seine Stimme passt aber auch glaubwürdig zu der ungewöhnlich hohen des Schauspielers (…), der den jungen Lehrer spielt. Ich habe über dieses Problem mit einem Hörspielregisseur gesprochen und er hat mir Jacobi empfohlen. Ich wollte ihn erst gar nicht anrufen, weil er mal wegen ‚Funny Games‘ ziemlich sauer auf mich war. Ich hatte ihm damals die Rolle des Nachbarn angeboten, der Ulrich Mühe hilft, das Boot zu Wasser zu lassen. Er hat mir damals einen wütenden Brief zurückgeschrieben, wie ich es wagen könnte, ihm eine derart bescheuerte Rolle vorzuschlagen. Ich hatte keine Lust, mir eine weitere Absage einzuhandeln. Aber er hat zugesagt, weil ihn das Drehbuch sehr berührt hat, das ihn an vieles aus seiner Jugend erinnerte. Wir haben drei Tage in München aufgenommen. Ich hatte die Dauer aller Sprechtexte exakt gestoppt und habe ihn die mit der Stoppuhr in der Hand lesen lassen. Wir haben das so oft aufgenommen, bis die Länge stimmte. Das war nicht ganz einfach, und ich musste ihn immer wieder beruhigen, wenn er sich aufgeregt hat, weil er sich vertan hatte. Aber das Ergebnis war der Mühe wert. Er sollte sogar den Text in der amerikanischen Fassung sprechen. Die Amerikaner haben den Film nicht synchronisiert, wollten aber, dass der Off-Text auf Englisch gesprochen wird. Mit deutschem Akzent, weil der Erzähler ja auch in die USA emigriert sein kann. Wir haben sogar einen Coach engagiert. Das Ganze hat ungefähr eine Woche in Anspruch genommen, und am Ende haben sie doch die Original-Off-Stimme untertitelt.“

Zu schade aber auch!
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* Am unteren Ende dieses Beitrags ist er in einem seiner prominentesten ungenannten Auftritte zu hören: im Epilog von „Taxi Driver“: https://blog.montyarnold.com/2021/12/06/19468/

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