Lieber den Tod als den Verrat

Der Roman „Port Sudan“  von Olivier Rolin erschien 1994, wurde aber erst letztes Jahr auf Deutsch  veröffentlicht. Die an sich spannende Idee einer Nachforschung, wer der mysteriöse A gewesen sein mag, der verstorbene Absender eines Briefes, der nur die Kopfzeile enthält, geht leider in Unmengen von pseudo-philosophischem Gerede unter. Dass es dabei unentwegt um Sex geht, banalisiert die Suche des Helden, erfüllt aber immerhin unser liebstes Klischee über unsere Nachbarn, die Franzosen.
Man möchte diese Prosa beiseite legen und sie entrümpeln lassen, ehe man weiterliest, um sich Handlung widmen zu können. Man sehnt sich nach den Zeiten zurück, da fleißige Verlagsmitarbeiter des „Reader’s Digest“ aktuelle Romanveröffentlichungen zu Kurzfassungen zusammenstrichen, um sie dann zu viert in einem Sammelband herauszugeben. (Dagegen hatte es damals im Feuilleton große Vorbehalte gegeben, aber was schert uns das heute?)
Auf die beschriebene Weise ließe sich der folgende hübsche Text aus einer ermüdenden Passage im 9. Kapitel herausoperieren.

Ich glaubte die Qualen zu kennen, die er gelitten hatte, nur hatte ich sie in jüngeren Jahren durchgemacht, und das war mein Glück. Solange man noch voller Kraft ist, widersteht man fast allem. Mein Schmerz erschien mir zu jener Zeit, als könnte er nicht größer sein, und trotz meiner damaligen Unerfahrenheit hatte ich mich nicht geirrt. Es passierte mir tatsächlich nie wieder, dass ich so zerrissen wurde.
Selbst der Tod von Freunden und Verwandten zerstört einen nicht so sehr wie der Verrat. Der Tod lässt den innersten Kern des Lebens unversehrt, wo die Gewissheit man selbst zu sein ihren Ursprung hat. Er bewahrt die Spuren, durch die immer wieder etwas vom Glanz vergangener Tage auflebt, ein verblasstes Bild, das uns nicht zwingt, uns mit Grauen von ihm abzuwenden.
Der Verrat hingegen verschont nichts, nicht einmal die Vergangenheit, deren Bedeutung er völlig umkehrt und vergiftet. Das einzige, was von ihr übrigbleibt, ist also der Schatz an Bildern, an verinnerlichten Gewohnheiten, die man mühselig zerstören, für immer zerstreuen muss, wenn man überleben will, während es bei Toten einen imaginären Raum gibt, indem wir ihnen weiterhin begegnen.
Der Tod fixiert für immer die Gesichtszüge, Worte und Haltungen. Während man mit Schrecken ahnt, dass sich das Bild desjenigen, der einen verlassen hat, mit jeder Sekunde unmerklich verändert. Dass ihm Gedanken durch den Kopf gehen, die einen nicht einschließen und von denen man nie etwas erfahren wird.
So sehr wird die Seele von der Gewohnheit bestimmt, dass sie wie mechanisch fortfährt, ausgerechnet von der Seite Trost zu erwarten, die einst Stütze und Freude, nun zu ihrem Henker geworden ist.

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