Die wiedergefundene Textstelle: „Papillon“ und was zuvor geschah (2)

Fortsetzung vom 26. August

Und das ist eine Textpassage aus der „Frankengeschichte“ des Gregor von Tours, an die Jean-Francois Revel zurückdachte, als er „Papillon“ von Henri Charrière las:

Der Zwist zwischen den Einwohnern von Tours, der, wie wir weiter oben berichteten, zu Ende gegangen war, flammte plötzlich mit erneuter Wut auf. Nachdem Sichar die Eltern des Chramnesind ermordet hatte, entbrannte er zu diesem in heftiger Freundschaft, und beide liebten einander so sehr, das sie oft gemeinsam speisten und sogar miteinander im selben Bett schliefen. Eines Tages nun bereitete Chramnesind für den Abend eine Mahlzeit vor und lud Sichar dazu ein. Als sich aber Sichar schon ganz vollgesoffen hatte mit Wein, begann er auf einmal den Chramnesind zu beschimpfen, und es heißt, er habe ihn zuletzt angeschrien: „Du schuldest mir großen Dank dafür, lieber Bruder mein, dass ich deine Eltern getötet habe! Durch die Erbschaft, die du gemacht hast, quillt dein Haus jetzt von Gold und Silber über! Wäre aber das Ereignis, das dich so herausgeputzt hat, nicht eingetreten, so wärest du bettelarm und müsstest ein sehr dürftiges Leben führen!“
Als er das hörte, erbitterte er sich über die Äußerung seines Gastes und sagte zu sich selbst: „Wenn ich den Mord an meine Eltern nicht räche, verdiene ich nicht, dass man mich einen Mann nennt, wohl aber verdiene ich, ein feiges Weib zu heißen. Und sogleich löschte er alle Lichter und spaltete dem Sichar den Kopf mit einer Säge. Der beendete sein Leben mit einem Krächzen, fiel um und war tot. Die Sklaven, die mit ihm gekommen waren, stoben auseinander. Chramnesind aber hängte die Leiche, nachdem er ihr alle Kleider abgezogen hatte, an den Ast einer Hecke, saß auf und ritt zum König.

Revel dazu:

In beiden Texten erscheint der Bericht in aller Reinheit, und Erzählen ist nichts als Erzählen. Er ist nur Geschehenes und kann gar nichts anderes sein. Alles und Jedes zielt auf eine Tat ab. Deshalb gibt es in der Papillon-Welt keine Unterschiede in der Intensität der Darstellung. Jemanden ansprechen, ihn töten, ihn retten – das folgt alles so dicht aufeinander wie Bilder im Kino. Und bei Henri wie bei Gregor nimmt jedes von ihnen stets den gleichen Raum ein. Es gibt darin kein Mittelmaß. Der Autor braucht sich nicht zu fragen, warum er schreibt.

Der Autor geht schlicht davon aus, dass das von ihm Erzählte das Publikum interessieren muss – „eine Überzeugung, ohne die niemand ein wahrer Erzähler sein kann!“

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