Vor 30 Jahren war ich bei den „Mitternachtsspitzen“ im WDR-Fernsehen zu Gast. Einer der Kollegen in der Sendung war Thomas Freitag, damals einer der Top-Stars des Kabaretts und führender der drei zentralen Helmut-Kohl-Imitatoren der Stunde. Ein anderer prächtig imitierbarer Promi hatte es ihm besonders angetan: Marcel Reich-Ranicki. Freitag ließ ihn in seiner Parodie toben und die Bücher nicht nur verreißen, sondern ganz wortwörtlich in Stücke rupfen.
Der zuständige Requisiteur fuhr am Tag der Übertragung ins Antiquariat und brachte einen Stapel Bücher mit, die der „Kritikerpapst“ im Rahmen der Performance schreddern konnte.
Ich fand diesen Regie-Einfall barbarisch (das Bild Reich-Ranickis als Buch-Zerstörer wurde damals häufig in Karikaturen und Illustrationen bemüht) und geeignet, mir jede Art von Gelächter auszutreiben. In einem seltenen Anflug von Besonnenheit habe ich diese Gefühle für mich behalten. Solche Äußerungen wären mir – dem „Nachwuchs“ und weitaus kleineren Namen – nur als kollegiale Missgunst ausgelegt worden.
Der Requisiteur bewies einen Blick für gute Bildschirmwirkung und brachte eine erlesene Auswahl aus dem Laden mit: wunderschöne gebundene Klassiker, Ausgaben aus der Wirtschaftswunderzeit mit farbenfrohen Schutzumschlägen (sowas kostet nicht viel).
Es brach mir das Herz.
Da er vorsichtshalber ohnehin zu gut eingekauft hatte, stahl ich ein Exemplar von „Bonjour Tristesse“, eine bildhübsche Ausgabe, die den Grundstein für meine heutige kleine Sagan-Sammlung bilden sollte.
Ich habe Thomas Freitags Darbietung nicht zugeschaut – und hoffe, dass wirkte nicht allzu unkollegial auf die anderen im Backstage-Bereich. Meine Ohren konnte ich ohnehin nicht verschließen, und das Geräusch brechender Buchrücken und reißenden Papiers dröhnte ordentlich in ihnen.
Ich erinnere mich an eine andere Reich-Ranicki-Nummer von Thomas Freitag, in der er das Lied „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ zum Gegenstand einer literarischen Analyse machte. Das war ein großer Spaß.
Und kein Buch musste dabei zerfetzt werden.
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