Cringe als Humortechnik

betr.: 83. Geburtstag von J0hn Cleese (morgen)

John Cleese – Mitglied der Komikertruppe „Monty Python“ und deren gefühlter Frontmann – lässt seit Jahren nichts aus, was seine alten Fans verstören muss – und das jenseits seiner künstlerischen Arbeit, als Individuum. Zuletzt befürwortete er den Brexit oder ließ sich aus nachvollziehbarer Erbitterung über Cancel Culture und andere Denkverbote mit Verschwörungstheoretikern ein, die seinen großen Namen als willkommene Werbung begrüßen. („Es ist okay, einen Deutschen als militaristisch, einen Franzosen als hochtrabend, die Italiener als theatralisch, Engländer als verklemmt asexuell, Schweden als depressiv  und Schweizer als geldgierig darzustellen, doch einige Völker Political Correctness offenbar für zu wehrlos, um zulassen zu können, dass man sie durch den Kakao zieht, was mir doch einigermaßen herablassend erscheint. Vielleicht muss es erst noch ein paar mehr asiatische Billionäre geben, bis auch Inder zum statthaften Comedyfutter werden dürfen.“)
In solchen Situationen greife ich gern zu seiner Autobiographie, die mit klugen Erkenntnissen zum Handwerk des Humors prall gefüllt ist.

Nun, da ich acht mal die Woche auf der Bühne stand, hatte ich wirklich die Chance, mehr über die Regeln der Comedy zu lernen, womit natürlich die Gesetze der Publikumspsychologie gemeint sind. Hat man nur wenige Vorstellungen, ist man – es sei denn, man hat wochenlang Zeit für Proben – primär darauf konzentriert, sich an das zu erinnern, was man zu tun hat, und damit spreche ich nicht nur vom Text und den Abläufen, sondern auch von den Betonungen, Pausen, dem Tempo, der Laustärke, den Gesten, Blicken, Reaktionen und so fort. Und in eben dem Maße, in dem man sich an alles zu erinnern versucht, kann man weniger Aufmerksamkeit fürs „Momentane“ erübrigen. Erst wenn die äußeren Aspekte des Auftritts automatisch ablaufen, beginnt man über den schlichten Versuch, „alles richtig zu machen“, hinauszuwachsen. Man entspannt sich und wird sich seiner selbst, der anderen auf der Bühne und der gerade herrschenden Stimmung bewusster, was dem eigenen Spiel wiederum mehr Frische und Spontaneität verleiht und einen empfänglicher für die Reaktionen oder Lacher im Zuschauerraum macht. Gelächter ist das Element, das die Aufführung einer Comedy oft kniffliger macht als die eines Dramas. Wer Macbeth spielt, der muss sich keine Gedanken um verpatzte Lacher machen. (Es sei denn natürlich, man spielte in Peter O’Tooles Inszenierung am Old Vic mit.) In einer Comedy ist es hingegen nur allzu leicht, das Timing zu ruinieren. Deshalb muss man unbedingt auf das Publikum achten, um die richtige Gangart einzulegen.
Eine andere Funktion des Lachens ist natürlich, sich selbst zum obersten Gebieter der Komik zu machen. Wenn sie nicht lachen, dann stimmt was nicht, und du musst es reparieren – so einfach ist das.
Gelegentlich ist das jedoch nicht ganz so einfach wie es klingt, und das ist auch der Grund, warum ich Tony Bufferys Solos immer so fasziniert beobachtet habe. An einem Punkt in der Show taten wir immer so, als sei etwas schiefgelaufen: Peinliche Pause, dann wurde Tony auf die Bühne geschubst, wo er erst einmal verlegen und verwirrt rumstand. Diese Szene gelang ihm einfach wunderbar. Er verfügte über eine unglaubliche Bandbreite an verzweifelten Mienen, die seines besorgniserregend blassen Teints wegen noch gequälter wirkten. Dann begann er dem Publikum zu erklären, dass er gerade „einzuspringen“ gebeten worden sei und deshalb nun ein paar Bilder vom Bauernhof zum Leben erwecken werde. Woraufhin er eine Kuh, einen Hahn und ein Schaf imitierte – und das absolut grauenvoll -, sich entschuldigte, weil dies bedauerlicherweise die einzigen Tiere seien, die er in petto habe. Mittlerweile war das Publikum verwirrt und peinlich berührt. Nun verkündete Tony, dass er einen Witz erzählen werde. Das tat er, und wieder unglaublich grauenvoll. Er entschuldigte sich erneut, sagte, dass er es noch einmal besser versuchen werde, und erzählte einen anderen – diesmal einen ganz guten, und das Publikum lachte, nicht zuletzt vor Erleichterung. Doch als es lachte, hüpfte Tony auf und ab und rief in Richtung Seitenbühne: „Sie haben gelacht! Sie haben gelacht!“ Dann dankte er den Zuschauern für diesen Zuspruch und sagte, da sie den Witz so komisch gefunden hätten, würde er ihn gerne noch einmal erzählen. Also erzählte er ihn noch einmal, und zwar auf die gleiche einstudierte Weise. Stille. Tony stand niedergeschlagen da, blickte ins Publikum, zögerte einen Moment und sagte: „Bitte lachen.“ Ich habe nie wieder ein derartiges Unbehagen in einem Theater verspürt. Dann wieder Tony: „Bitte lachen Sie! Meine Mutter sitzt heute im Publikum.“ Inzwischen versuchten die ersten Leute, sich unter ihren Sitzen zu verstecken. Tony ließ seinen Blick eine Weile lang suchend über den Rang schweifen, dann lächelte er traurig und sagte: „Okay, sie ist jetzt weg.“
Ich fand das Ganze herrlich, aber im Publikum taten das nur wenige, und es dauerte immer eine Weile bis wir die Zuschauer nach Tonys Auftritt wieder aufgeheitert hatten – was zeigt, wie unterschiedlich die Geschmäcker sind, wenn es um Komik geht. Wenn wir im Ensemble über die Show sprachen, waren wir uns zum Beispiel immer einig, dass rund zwanzig Prozent vergleichsweise schwach waren; aber wir konnten uns nie darauf einigen, welche zwanzig Prozent das waren. Damals hat mich das verwirrt und frustriert, und ich brauchte Jahre bis ich verstand, wie subjektiv Humor ist. Nur weil Lachen ansteckend ist, kann man einen ganzen Saal gleichzeitig zum Lachen bringen; befragt man die Zuschauer ein und derselben Vorstellung jedoch einzeln, variieren die Meinungen in einem Maße, das man nicht für möglich gehalten hätte. Selbst wenn man das Publikum dabei beobachtet (wie ich es manchmal von der Bühne aus tue), wie es sich einen Film-Clip ansieht, erlebt man eine ziemlich überraschende Bandbreite an Reaktionen, die völlig konträr zu den eigenen Vorstellungen davon stehen, was als komisch empfunden wird und was nicht. Eine andere Lektion lernte ich bei einer Marx-Brothers-Retrospektive im Baker Street Classic Cinema: Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie viel Müll es zwischen all der Brillanz gab: Selbst die größten Komödianten sind vor Fehlschlägen nicht gefeit.

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