Über die wissenschaftliche Auswertung unehrlicher Antworten
Bereits Charles Darwin soll über „sensomotorisches Feedback“ nachgedacht haben. Heruntergebrochen auf ein Thema, das in letzter Zeit sehr häufig zwischen „Panorama“ und „Vermischtes“ verhandelt wird, läuft das auf die Behauptung hinaus, wir würden uns besser fühlen, wenn wir ein Lächeln aufsetzten (ein falsches, sonst müssten wir es ja nicht eigens aufsetzen). Wir lächeln demnach nicht nur, wenn wir uns gut fühlen, sondern fühlen uns auch besser, wenn wir mit dem Lächeln einfach schonmal loslegen, solange wir eigentlich noch miese Laune zu haben. Wie ernst die Wissenschaft diesen offensichtlichen Blödsinn meint, erkennt man daran, dass ein offizieller Terminus (mit verräterischer Hintertür) dafür gefunden wurde: „Facial Feedback Hypothesis“.
Die Berichte darüber stolpern häufig über die eigenen Füße. Im Fachmagazin „Human Behaviour“ heißt es sinngemäß: die Mimik – „egal ob bewusst oder unbewusst ausgelöst“ – habe Auswirkungen auf den Gefühlshaushalt. „Unbewusst ausgelöste Mimik“ jedoch ist nichts anderes als eine ehrliche Gefühlsäußerung und kann daher nach meinem Verständnis gar nicht Ursache eines Gefühls sein.
Zumal der Alltag mir etwas völlig anderes erzählt. Nicht nur, dass es mir selbst unmöglich ist, absichtlich „die Augen mitlachen zu lassen“ oder das ungehörige Kommando zu befolgen „nu lach doch ma!“. Mir zieht es jedesmal die Schuhe aus, wenn Menschen vor sich hinlächeln (der Übergang zum Grinsen ist fließend), um sich ein souveräneres Ansehen zu geben. Es sieht im doppelten Wortsinne falsch aus: heuchlerisch und außerdem der Situation unangemessen. Wer für schlechtes Schauspiel kein Sensorium hat, der ist möglicherweise bereit, ein aufgesetztes Feixen und die Schrilltöne im begleitenden Dialog mit Heiterkeit zu verwechseln. Ich bin dazu nicht einmal aus Höflichkeit in der Lage.
Ich sehe so etwas oft genug in Talkshows, immer wieder in der wirklichen Welt und habe im Laufe der Zeit ein paar besonders massive Fälle im engeren Umfeld kennengelernt. Ich denke an drei männliche Personen, deren Mangel an zwischenmenschlichem Erfolg sie eines Tages trotz einiger fachlicher Kompetenz auch beruflich ins Exil getrieben hat. Ihr beständiges Hochziehen der Mundwinkel bekam über die Jahre etwas geradezu Krampfhaftes. Zwei von ihnen verschwanden regelmäßig überraschend von der Bildfläche – der eine ließ gern seine Kollegen in laufenden Projekten im Stich und war dann nicht zu erreichen, der andere zog sich in ein jahrelanges Burnout zurück. Beides spricht gegen den beschriebenen Erfolg der Lächeltherapie. Der dritte Fall liegt etwas anders. Dieser im Viertel sehr unbeliebte Mensch scheint seine Stimmung wirklich verbessert zu haben. Bei ihm ist das Grinsen jedoch lediglich Teil einer Provokation, die im Übrigen aus neckenden Bosheiten besteht. Sein Frohsinnserfolg – falls er denn aufrichtig geschieht – ist nicht das direkte Ergebnis des Grinsens, sondern die Freude über die Hoffnung, einem zufällig angetroffenen alten Bekannten oder Fremden im Supermarkt oder auf der Straße mit einem garstigen Spruch die Laune verdorben zu haben.
Natürlich hat das Gerede von der mimischen Selbstermächtigung einen nachvollziehbaren Ursprung. Es kann wohltuend sein, sich am Riemen zu reißen, wenn man sich dabei ertappt, sich selbst zu wichtig zu nehmen und dem eigenen Selbstmitleid ungebührlich nachzugeben. Doch das Heraufziehen muffig herabhängender Mundwinkel ergibt eben kein Lächeln, sondern eine Fratze.
In der aktuellen Berichterstattung wird unverdrossen von Probanden berichtet, die sich besser gefühlt haben wollen, nachdem sie eine freundliche Mimik simuliert hatten. Das behaupteten sie zumindest – wohl wissend, dass man das von ihnen hören will. Vielleicht sollte man einfach nicht alles glauben, was einem Leute erzählen, deren Gemütsverfassung von solch oberflächlichen Mätzchen abhängt.