Reifer werden mit Margaret Atwood

In einem aktuellen Interview* wird die Schriftstellerin Margaret Atwood gebeten, übers Älterwerden zu reden. Aus dieser simplen Vorlage macht die 82jährige das Beste: „In jeder Lebensphase gibt es andere Herausforderungen. Als Teenager geht es um Kleidung, Make-up, erste Lieben, Prüfungen, Sex. Und natürlich die Frage, wie das Leben aussehen soll. Man denkt doch immer, man schafft es gar nicht bis 31. (Das fürchtet doch insgeheim jede.) Und wenn man diese Phase dann doch geschafft hat, geht es plötzlich ums Heiraten, um Kinder und deren Aufwachsen. Wenn man in die Vierziger kommt, sind es wieder andere Dinge, die Menopause zum Beispiel. Und in den Sechzigern fängt es plötzlich damit an, dass einige Menschen um einen herum sterben, an Krebs oder Herzinfarkt etwa. Danach wird der Ruhestand eine große Sache. Okay, nicht für Schriftsteller, die werden dann höchstens schlechter, sie hören aber selten mit dem Schreiben auf.“
Damit nicht genug, gewinnt Atwood anschließend noch eine Assoziation von bleibendem Wert daraus, indem sie sehr einleuchtend und allgemeingültig die Altersstufen einer Autorenkarriere aus ihrer Biographie heraus rekonstruiert: „Die schlimmsten Jahre im Schriftstellerleben sind sowieso die mittleren. Dein Debüt ist schon lange bekannt, und du giltst als langweilig. Im Alter bist du als Mann entweder vergessen oder ein verehrter Weiser. Und als Frau bist du entweder die freundliche Omi oder die böse Hexe. Wenn du ein junger Autor oder eine junge Autorin bist, sind die Kritiker alle älter als du. Als ich 27 Jahre alt war, wollte ein Journalist eines meiner ersten Bücher besprechen. Da hat der zuständige Redakteur gesagt: ‚Nein! Niemand unter 30 hat irgendetwas von Bedeutung mitzuteilen!‘ Kritiker ordnen Autoren dann entweder als talentierte Newcomer ein oder als Hochstapler, die fertiggemacht werden sollten. Wenn du ein mittelalter Autor bist und die Kritiker auch so alt sind wie du, bist du entweder ihr Kollege oder ihr Rivale. Und wenn du noch älter wirst, sind die meisten plötzlich jünger. Dann bist du entweder ein Vorbild, zu dem sie aufsehen, oder eine Person, die man endlich aus dem Fenster stürzen sollte, damit mehr Platz für junge Leute ist.“
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* Der Spiegel Nr. 44/2022

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