Überall ist Vorstadt

betr.: 20. Todestag von Richard Yates

Der erfolgreichste jener Schriftsteller, die die Vorstadt zu einem allegorischen Schauplatz menschlichen Unvermögens und der sich daraus zwangsläufig ergebenden Tragödien gemacht haben, dürfte John Updike gewesen sein (es sei denn, wir zählen Gustave Flaubert mit dazu). Die übrigen sind im Wesentlichen vergessen und werden allenfalls von einem Bäuerchen des Zeitgeistes ans Licht befördert, wenn ein aktuelles Projekt – ein Film oder eine Serie – auf sie bezug nimmt, um danach wieder zu versinken. Das war vor 15 Jahren bei John Cheever* der Fall, es steht noch aus bei Sloan Wilson, zuletzt erwischte es Richard Yates.** Dabei sind sie alle – wie Updike und Flaubert – zu jeder Zeit lesenswert mit ihren Alltagsfiguren, die umso tiefer in der grauen Masse versinken, je mehr sie versuchen, individuell zu sein.
1961 formulierte Richard Yates seinen Unmut darüber, dass sein Debütroman „Revolutionary Road“ als ein Anti-Suburbia-Buch wahrgenommen werde. Er sehe es vielmehr als eine Anklage der amerikanischen Lust an der Konformität. (Wo ist der Widerspruch?) Der Roman schrammte Haarscharf am National Book Award vorbei und stieß insgesamt auf Ablehnung, bis ihn im Jahre 1999 ein Essay von Stewart O’Nan in der „Boston Review“ rehabilitierte. Da war Yates aber schon sieben Jahre tot und in seinem Heimatland nicht einmal mehr antiquarisch erhältlich (– okay, das Gleiche galt zu dieser Zeit auch für William Faulkner). Erst seit 2001 ist das englische Original in einer preiswerten Ausgabe zu haben.

Richard Yates stammte aus einer Trinkerfamilie, und er setzte die Tradition fort. Bereits in mittleren Jahren pendelte er in immer engeren Intervallen zwischen Schreibmaschine und Entzugsklinik. Hinzu kam eine Schädigung der Lunge, ein altes Kriegsleiden, das er durch starke Raucherei noch verschlimmerte. „Yates steuerte seinen Wagen vorzugsweise mit den Knien, um beide Hände frei zu haben, eine für den Schlauch der Sauerstoffflasche, die andere für die brennende Zigarette. Ein Funke hätte genügt, ihn in die Luft zu jagen.“ (SZ).
Er schrieb, solange er konnte, auch wenn er damit keinen Reichtum oder auch nur beschiedenen Wohlstand erlangte. Er arbeitete als Werbetexter, Drehbuchautor und Redenschreiber (z.B. für Senator Robert Kennedy), außerdem unterrichtete er „kreatives Schreiben“ … die biographischen Parallelen zu John Cheever sind auffallend.
Yates war selbst der Meinung, sein erstes Buch sei auch sein bestes gewesen, und hielt das für seine besondere Tragik. Er schrieb noch sechs weitere Romane, darunter sehr gute wie „Easter Parade“. Dennoch blieb er ein Geheimtipp, ein „writer’s writer“.
Als man nach seinem Ableben sein kleines Appartement in Birmingham, Alabama, ausräumte, soll neben seiner Olivetti das wertvollste Fundstück ein unveröffentlichtes Manuskript gewesen sein, das im Eisfach lag.   

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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2022/06/18/john-cheever-wiederlesen/
** Siehe https://blog.montyarnold.com/2018/11/01/die-schoensten-filme-die-ich-kenne-81-zeiten-des-aufruhrs/

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