Von federleichtem Hintersinn

Zum Tode von Wolfgang Draeger

Heute abend teilt sich die Welt in zwei Gruppen: die Hörspielfans, die um Wolfgang Draeger trauern, und die Filmfans, die dies tun. Ich zähle zur zweiten Gruppe, zu den WoodyAllen-Liebhabern, die jedesmal einen Augenblick brauchen, um diese Stimme aus dem Munde eines anderen Schauspielers zu erkennen. Es gelingt immer recht zügig, und dann freue ich mich umso mehr über den Fortgang der Handlung. Natürlich habe ich die Originalstimme von Woody Allen längst ebenfalls kennengelernt und verinnerlicht. Aber seine deutsche Stimme ist mir die echtere.

Wolfgang Draeger gehört zu dieser magischen Generation von Synchronsprechern, die zuerst Schauspieler waren und deren Leistungen mich auf Lebenszeit zum Fan der Synchronkunst gemacht haben, also zum Verehrer dessen, was auf diesem Gebiet im Glücksfall möglich ist bzw. war. In jenen Tagen durften die Kollegen am Mikrofon noch aufeinander reagieren – mussten also viel mehr Zeit mitbringen, was aber ihren künstlerischen Background optimal abrief und dem Ergebnis gutgetan hat. Viele dieser Synchronfassungen klingen spielerisch wie akustisch genauso wie deutsche Originaltonspuren der selben Ära, was wirklich eine Harke ist.
Wolfgang Draeger ist erst recht spät und zufällig in diese Berufssparte hineingerutscht. Der große Ottokar Runze könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Er war Leiter des Berliner Theaterclubs im British Centre, wo Draeger engagiert war, nachdem er Schauspielschule und frühe Engagements in der Provinz absolviert hatte. Runze war als Dialogregisseur übrigens generell der Meinung, dass es nach einem halben Tag im Atelier keinen Zweck habe, einen Sprecher weiter zu strapazieren. Danach sei die Batterie einfach leer, und man sollte ihm bis zum nächsten Tag Zeit geben, sich zu regenerieren. Zumindest unter seiner Regie hat man also auch in der Zeit vor dem Ixen irgendwann die Sonne gesehen.
  
Wolfgang Draeger gehörte übrigens nicht zu den vielen Synchronstars, die damit kokettierten, im Grunde müsste man sie als Schauspieler verehren, deren wahre Bedeutung unter der allgemeinen Wertschätzung für eine geringere Arbeit (nämlich die im Synchronstudio) begraben worden sei. Er war ein guter Bühnenschauspieler (wie mir eine strenge Kollegin bestätigte), hätte sich dort aber nie vergleichbar verwirklichen können (wie er selbst zugab).
Zum ersten Mal muss ich seine Stimme aus dem Schnabel des Vogels Bibo in der „Sesamstraße“ gehört haben, wo er auch Regie geführt hat. Die ersten 100 Folgen habe ich als Teil der Zielgruppe damals angeschaut, ohne eine einzige zu verpassen. Doch meine Erinnerung an die Details ist vernebelt. Wenn zurückdenke, klingt Bibo eher wie Kermit (so wie Kermit später in der „Muppet Show“ geklungen hat, also anders in der „Sesamstraße“). Dieser Irrtum mag den unzähligen glücklichen Stunden mit Wolfgang und Woody geschuldet sein.   

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