Ganz schön dick geworden!

Der zum professionellen Vielleser aufgestiegene Literaturliebhaber Marcel Reich-Ranicki war der gern geäußerten Meinung, ein Roman – auch ein guter! – sollte höflicherweise höchstens 300 Seiten lang sein (am besten: dünner). So viel und gern ich selber lese, so gut kann ich ihn verstehen. Allzu umfangreiche Romane schüchtern mich ein – zumindest, wenn ich sie nicht als gut interpretiertes Hörbuch genießen kann.

Bestsellerautor John Grisham sieht es genauso, aktiv wie passiv. Als jemand, der es nicht nötig hat, Zeilenschinderei zu betreiben, erklärt er: „Wenn ich einen Roman beginne, strebe ich 100.000 Wörter an. Einmal merkte ich, dass es 200.000 werden würden. Sowas kann ich nicht machen, allein schon weil ich es nicht pünktlich fertigkriegen würde. Außerdem habe ich selber keine Lust, einen 500-Seiten-Schinken zu lesen.“
Nicht alle halten sich dran, was ihrem Erfolg aber keinen Abbruch tut. Der ebenfalls vielgelesene John Irving legte zuletzt einen Tausendseiter vor (entgegen der geltenden Regel, er schriebe alle drei bis vier Jahre ein Buch von 600 Seiten …). Solange John Grisham der einzige ist, der es nicht liest, muss sich Irving ja keine Sorgen machen.

Schon Ende der 60er Jahre machte der Rowohlt Verlag folgende Rechnung auf – diesmal nicht Seiten oder Wörter, sondern noch winzigere Einheiten zählend: „Fünfhunderttausend Buchstaben, wenn nicht mehr oder weniger, sind in einem einzigen Taschenbuch abgedruckt, die Satzzeichen nicht mitgezählt.“ – Mit „ein Taschenbuch“ war ein Rotationsroman gemeint (ein rororo). „Eine halbe Million Buchstaben bedeutet umgerechnet auf den Preis: man bekommt etwa 2000 gemischte Buchstaben pro Pfennig. Aneinandergereiht eine drei Meter lange Letternkette. Das ist sehr preiswert, verglichen etwa mit den Buchstaben auf einer Briefmarke.“

Übrigens: in einem Bleistift steckt ein Strich von 13 Kilometer Länge.

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Eine Antwort zu Ganz schön dick geworden!

  1. DirkNB sagt:

    Zu Romanen arbeite ich mich ja noch hoch. War es nicht Voltaire, der einmal sagte, dass ihm „alle Bücher“ zu lang wären. 😉 Heranwachsend habe ich Aphorismensammlungen immer gern gelesen. Die kleine Form sagte mir mehr zu, ein frühe TikTokisierung in den späten 1980er Jahren. Anthologien, Glossensammlungen und ähnliches sind jetzt eher mein Metier. Schauen wir mal, wohin sich das entwickelt. 😉

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