From Development Hell

„Jeder Beruf ist eine Verschwörung gegen den Laien!“
George Bernard Shaw

Billy Wilders berühmter Ausspruch, man brauche drei Dinge, um einen guten Film zu drehen – nämlich ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch – spielt in Hollywood (und überall dort, wo kommerziell gefilmt wird) keine Rolle mehr. Alles ist in unseren Tagen wichtiger als Schlüssigkeit der Handlung, glaubwürdige Figuren, gute (d.h. lebensnah klingende) Dialoge. Wenn sich ein toller optischer Effekt anbietet – und es gibt so viele wie nie zuvor -, dann hat die Logik das Nachsehen. Humor funktioniert auf diese Weise schon gar nicht. Und was bei Vorliegen der „ersten Fassung“ noch an Substanz übrig ist, wird zerredet: von all den handwerksfremden Kräften, die sich außerdem einmischen dürfen: von Fan-Foren und Interessengruppen eingeschüchterte Produzenten, Mit-Produzenten, weitere Geldgeber, Sensitivity-Reader, Marketingleute und andere Gremien-Individuen („Gremlins“ wie sie mal von einem verärgerten deutschen Moderator genannt wurden). Doch nicht jeder, der in der Lage ist, sich vor eine Leinwand zu setzen, kann deswegen ein Drehbuch schreiben oder verbessern.

Man stelle sich vor, irgendein bürgerlicher Beruf (Handwerk, Chirurgie, die sprichwörtliche Kochkunst …) würde von einer solcher Mange ungelernter Kräfte ausgeübt, die alle unterschiedlicher Meinung sind.
Das einzige, was noch darauf verweist, die Branche könnte sich dieser Problematik bewusst sein, ist die Bezeichnung, die sich im Fachjargon für die mehrjährige nervenaufreibende Phase erhalten hat, in der das Drehbuch immer wieder umgefriemelt wird, in der Regisseure abspringen (nachdem sie tüchtig mitgefriemelt haben), Geldgeber das Interesse verlieren und Schauspieler ausgetauscht werden: „Development Hell“, die Hölle der Entwicklungsphase.
Quentin Tarantino ist mittlerweile der einzige, der sich über diese Widrigkeiten weitgehend erhaben fühlen kann. Er selbst spricht sogar davon „der Letzte“ zu sein, „der einmal in Hollywood das Licht ausmachen wird“. Dass seine Filme auch nicht immer glücklich machen, liegt daran, dass auch er längst die Lust verloren hat und seine künstlerische Freiheit gewissermaßen eine Brache ist. (Tarantino: „Ich hab’s hinter mir. … Irgendwann hat man alle Gipfel erstürmt.“*)

Billy Wider würde heute wahnsinnig werden – als Pensionär, nur vom Anschauen der Ergebnisse. Der alte Studio-Vertragsregisseur Jack Arnold, dessen ihn selbst keineswegs befriedigende Karriere mit dem Ende des Studiosystems unterging, hat die Umstände sicher auch aus solchen Gründen verteidigt. Er gestand den alten Filmmoguln zu, dass sie etwas vom Filmemachen verstanden, „obwohl sie keine angenehmen Menschen“ gewesen seien. Natürlich redeten auch sie in manche Produktionen rein, wenn sie es für nötig hielten (besonders in die kostspieligen), aber in der Regel schmierten sie nicht eigenhändig in den Büchern herum. Sie ließen die Autoren ihre Einwände umsetzen, zuweilen durfte auch der Regisseur noch Hand anlegen. Auf keinen Fall konnte das jeder tun, der gerade Lust dazu hatte oder sich einfach aufspielen wollte.

Jetzt, da diese Zeilen geschrieben werden, ist in Hollywood wieder ein Drehbuch-Autoren-Streik im Gange. Angeblich ist deren Bezahlung noch schlechter als die der deutschen Lokführer. Und selbst wenn sie einmal besser wird: der Qualität wird das nicht helfen. Man müsste diese Leute einfach mal ihre Arbeit machen lassen.
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* Interview im „Zeit-Magazin“ Nr 19, 4.5.2023.

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