Die Unarten der Schauspielkunst (5)

betr.: 17. Todestag von Rudi Carrell (gestern)

Fortsetzung vom 4. Juli 2023

Hier werden die Erläuterungen nachgereicht, die der Schauspieler Carl-Heinz Schroth (1902 – 89) seiner Liste der 10 schlimmsten Unarten des Bühnenschauspiels hinzugefügt hat. Sie ist unter  https://blog.montyarnold.com/2023/06/29/carl-heinz-schroth-10-unarten-der-schauspielkunst-1/ nachzulesen.

Der Apfel – einmal nicht als Wurfgeschoss

Punkt 10 der Liste lautete:
„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Pointe. Das heißt: Du sollst Dich ruhig verhalten, wenn der Partner eine Pointe hat und keine Spielastik machen. Beliebte Ausrede: Aber ich muß doch die Situation weiterspielen. – Mußt Du nicht!“

Als der Publikumsliebling Rudi Carrell starb, trauerte vor allem das Publikum traurig um ihn. Die meisten seiner Kollegen – und nicht wenige hatten ihm viel zu verdanken! – würdigten ihn durchaus kritisch. Es muss nicht immer leicht gewesen sein, mit ihm zu arbeiten. Einer seiner Regisseure meinte, Rudi sei „der manierenloseste Mensch“ gewesen, den er je getroffen habe. Des großen Showmasters Wutausbrüche in den letzten Stunden vor Beginn der Live-Übertragung waren legendär.
Doch in einem Punkt war Rudi Carrell überaus tugendhaft: er war nicht kompetitiv. Er neidete niemandem eine Pointe, schon gar nicht wenn dieser Kollege bei ihm zu Besuch war und die Pointe selbst mitgebracht hatte. Aber auch sonst war Carrell Profi genug, zu wissen: es ist letztlich wurscht, über wen in meiner Show gelacht wird. Hauptsache, es wird in meiner Show gelacht! (Das merkten sogar wir Halbwüchsige vor dem Fernseher, und es imponierte uns ungemein.)
In der Branche ist diese Qualität so selten anzutreffen (und damit meine ich alle Personen, die vor Publikum arbeiten, ganz gleich in welcher Sparte), dass Carl-Heinz Schroth sie gleichsam zur Schlusspointe seiner Liste gemacht hat.
Er spricht von einer bestimmten Art, die Pointe des Mitspielenden zu hintertreiben: per Sabotage. Das kann motorisch geschehen (Merke: Die Bewegung ist stärker als das Wort.) oder akustisch. Schroth kommt zunächst auf die in Punkt 10 zitierte Ausrede zu sprechen:

Er spielt die Situation weiter.
Ein Beispiel: Auf der rechten Seite der Bühne hat Arlecchino gerade einen Apfel geschenkt bekommen und macht sich daran, ihn zu verzehren. Just in diesem Moment kommt links Columbine und hat ihr Auftrittscouplet. Die arme Person ist natürlich völlig von guten Willen des Apfelessers abhängig. Wenn er vor jeder ihrer Pointen knirschend in den Apfel beißt, ist sie mit ihrem Auftrittslied im Eimer.
Es gibt Kollegen (meistens sind es ältere Salondamen oder Komiker), die sind Weltmeister im Apfelessen. Hier schweigt des Sängers Höflichkeit, obgleich’s ihn in der Kehle juckt.

Von Rudi Carrell (gleichsam eine Mischung aus älterer Salondame und Komiker) kann Carl-Heinz Schroth jedenfalls nicht gesprochen haben!

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