Unbedingt wiederlesen: „Der Schmetterling“ von Wilhelm Busch

Er war’s. Im eigenen Lichtglanz seines grün juwelenhaft funkelnden Hinterteils schwebte er dicht vor mir her, mein alter Schmetterling, dem ich niemals zugetraut hätte, daß er solch eine schöne Laterne besaß. Die Jagdlust regte sich wieder.

Obwohl es vonseiten der Literaturwissenschaft einige bürokratische Einwände gibt, hat mich doch kein deutscher Dichter lebenslang so bereichert und beglückt wie Wilhelm Busch – kein Goethe, kein Heine, kein Ringelnatz und kein Tucholsky. Daneben hat sich Busch noch auf einem anderen Gebiet – weit abseits des literaturwissenschaftlichen Blickfeldes – hervorgetan. Diese Verdienste konnten erst im Laufe des folgenden Jahrhunderts nach und nach als solche erkannt und eingeordnet werden. Sein jüngerer Kollege Thomas Theodor Heine (1867-1948) schrieb dazu:  

Busch ist der eigentliche Erfinder der zeichnerischen Kurzschrift. Ich weiß keinen Vorgänger, dem es gelungen wäre oder der auch nur versucht hätte, in so knappen Strichen das Leben einzufangen, durch einen einfachen Federzug so unerhört gesteigerte Bewegung, so unvergeßliche Typen mitsamt der ihnen zukommenden Umgebung auf einem kleinen Blättchen Papier hervorzuzaubern. Es ist höchste Vollendung des Handwerks, daß kein Tropfen Schweiß am fertigen Werk zu kleben scheint.

Backwood- und Viecherhorror aus deutschen Landen: Peter steckt  in der Klemme.

Die Erzählung „Der Schmetterling“, auf die ich heute unsere Aufmerksamkeit lenken möchte, entstand nach Buschs großen, lyrisch untertitelten Bilderpossen, als sich Busch bereits in die Eigenbrötelei zurückgezogen hatte. Busch goss den Verlust seiner Illusionen in zwei Lebensbeichten in Prosa, in deren vereinzelten Illustrationen der begnadete Zeichner weiter am Werk ist. Während “Eduards Traum“ noch unerfüllt bleibt, ist dem Ich-Erzähler im „Schmetterling“ ein idyllisches Finale vergönnt. Diese Gnade ist – wie sich das für diesen hellwachen Satiriker gehört – teuer bezahlt, vielfach gebrochen und gehörig verschrammt. Busch wäre nicht Busch, würde er der Schönheit des ländlichen Lebensraumes und seiner üppigen Natur nicht den vulgären Nihilismus seiner Bewohner entgegensetzen. Die Dosierung des Sarkasmus im glücklichen Ende des Abenteuers ist in ihrer Präzision unübertrefflich und ohne Beispiel.

Fernab vom heimischen Herd erlebt der Schmetterlingsjäger die Schrecken der bürgerlichen Hausgemeinschaft.

Wie jeder wahrhaft welthaltige Erzähler weiß auch Busch um die Wirkung eines phantastischen Elementes, das maßvoll in die Bodenständigkeit seiner Milieuschilderungen eingewoben ist. Nachdem der flatterhafte Held auf seiner Odyssee durch die deutsche Provinz schon mit einem Goldesel und einer Hexe Bekanntschaft machen durfte (und bevor er an einen sehr handfesten Arzt und dessen Säge gerät), kommt es kurz vor dem Ende noch zu einer LSD-rauschhaften Begegnung mit zwei Feldarbeitern (ein Aaskäfer und ein Mistkäfer), die sogar verdiente Geisterseher wie Wilhelm Hauff und E. T. A. Hoffmann brav erscheinen lassen.

Der einbeinige Peter humpelt an den Ort zurück, den er so leichtfüßig verlassen hat.

Wenn Busch zuletzt vom Altwerden und vom Nachhausekommen spricht, tut er das ohne jede Larmoyanz und ohne die gefallsüchtigen Kalauer, die in unserer rasch alternden Gesellschaft zuletzt obligatorisch geworden sind. Sogar dem Familienkitsch weicht er geschmeidig aus. Die Menschen, die den verkrüppelten Peter schließlich aufnehmen, tun das umso herzlicher, weil sie ihren verschollenen Angehörigen nicht wiedererkennen. Und Peter behält das Geheimnis für sich. So bleiben ihm noch ein paar glückliche Jahre als respektierter Gast in seinem früheren Heim.

Was erst verdrießlich schien,
war schließlich gut für ihn.

Dieser Beitrag wurde unter Comic, Gesellschaft, Literatur abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert