Das gefährlichste Kleidungsstück der Welt

Ich bin Karl Lagerfeld, den ich für einen zappeligen pesudo-intellektuellen Quark-Quatscher mit feuchter Aussprache halte, nur für zwei Äußerungen dankbar. Einmal für die (möglicherweise versehentliche) Wortspiel-Pointe „Ich konnte den Look nicht mehr sehen!“ und dann für seine Feststellung irgendwann in den 90er Jahren, es gebe heute kein Modediktat mehr. Ich als notorisch Klamotten-Kauf-unwilliger Mensch fand das ungeheuer beruhigend. Ich durfte es glauben, da es ja aus dem Munde eines Fachmannes kam, der überdies mit dem Gegenteil dieses Statements sein Geld verdiente.
Seither ringe ich mit dieser Aussage.

Zurzeit bin ich bei folgender Theorie angelangt: es gibt noch immer ein Modediktat, nur dass es seinen Schrecken inzwischen individuell entfaltet.
Zum Tragen einer Jogginghose hat Lagerfeld seinen berühmtesten Ausspruch getan, und er scheint weite Teile der Öffentlichkeit traumatisiert zu haben.  Das Anlegen einer solchen Hose – egal, wann, wo, wie oft und zu welchem Zweck – ist heute übler geächtet als Hetzte, Lahmarschigkeit und  schlechter Kunstgeschmack.
Bastian Pastewka – stets bemüht, viel und schnell zu reden, ohne etwas von sich selbst preiszugeben -, ließ dann doch recht tief blicken, als man ihn fragte, wie er es denn mit der Jogginghose hielte. Er antwortete sinngemäß: So etwas würde ich nie tragen, denn dann wäre ich ja einer von diesen Trotteln, über die ich mich in meinen Arbeiten lustig mache. … Sieht denn jemand, was er zu Hause trägt? Geht es jemanden etwas an? Spielt es eigentlich eine Rolle, was man in seiner Freizeit als bequem empfindet? Findet er nun unbequeme Kleidung weniger unbequem, weil er so schlimme Figuren verkörpert? Und sind die Pastewka-Figuren wirklich so schlimm? – Rätsel über Rätsel …
Der weitaus schneidiger auftretende Entertainer Götz Alsmann antwortete immerhin, er habe so etwas nur beim Joggen getragen. „Sie haben also eine Jogginghose!“ – „Hatte, hatte!“ – Auch hier wieder diese unerklärliche Dünnhäutigkeit.
Marcel Reich-Ranicki behielt aus der traumatisierenden Zeit im Warschauer Ghetto die Marotte zurück, sich mehrmals täglich zu rasieren, um nicht zu verkommen (was die Überlebenschancen im Ghetto verringert hätte). Als er später jahrelang von zu Hause aus arbeitete, gewöhnte er sich an, außerdem immer einen Anzug anzulegen, ehe er ins Home-Office ging.
Die Warnung, man solle beim Schreiben nicht wie ein Penner oder Couch-Potatoe angezogen sein, denn dann schriebe man auch so, habe ich häufiger gelesen. Sie leuchtet mit durchaus ein, aber ich schreibe gern im Outfit einer Pastewka-Figur und weise stilistisch mit ihr (und ihm) nur dann irgendwelche Übereinstimmungen auf, wenn der Text es erfordert. Vielleicht kann man sich so etwas leisten, solange man wie ich als Allzweck-Autor arbeitet und keine reine Kunst macht.
Sibylle Lewitscharoff ist mir in diesem Zusammenhang scheinbar nicht ganz unähnlich: „Gibt es eine Kleidervorschrift beim Schreiben? Jawohl, es gibt sie. Man trage beim Schreiben ein Amtskleid. In meinem Fall ist es schwarzgrau gemustert und hat vorne ärmelschonende Verlängerungen. Man kleide sich nicht zu salopp, sonst schwätzt man bald daher wie jemand, der, die Beine hoch, vor sich hintelephoniert, und so ein Telephongeschwätz sollte man besser nicht aufschreiben.“ (Da haben wir’s wieder: Reinschriften mache ich gern mit hochgelegten Füßen. Sollte ich tatsächlich mal ein Telefongeschwätz aufschreiben müssen – für einen Sketch oder ein Hörspielskript –, könnte ich es ohnehin nicht einfach mitschreiben, sondern müsste mich konzentrieren, um es möglichst alltagsgetreu zu erfinden. Wahrscheinlich so sehr, dass ich mich in meiner stets saloppen Arbeitskleidung sogleich aufrecht hinsetzen würde.) „Das Amtskleid darf nicht die Behendigkeit des Handgelenks lähmen, aber es soll das Handgelenk wärmen. In einem für das Schreiben angelegten Amtskleid zeige man sich besser niemand sonst. Es muß ja nicht schön sein, dieses Kleid, ja, es darf sogar hie und da ein wenig verschabt sein. Personen, die beim Schreiben herumschmutzen – ich gehöre nicht zu ihnen -, sollten vorsichtshalber eine Schürze anlegen.“
Recht so! In meiner Schreibmontur würde ich niemals Gäste empfangen.

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