Das Tonstudio: Echokammer des Missverständnisses

betr.: Sprechen am Mikrofon

In meinem Einzelunterricht sitzen viele Interessenten nur ein einziges Mal. Nachdem sie eine informative erste Stunde genossen haben, geloben Sie den sportlichen Umgang mit einer ganzen Reihe falscher Vorstellungen und geklärter Irrtümer, vereinbaren einen zweiten Termin – und kehren nicht wieder. Die meisten sagen immerhin ab, wenn auch stets sehr, sehr kurzfristig.
Viele dieser Leute haben zuvor „Workshops“ und „Kurse“ besucht, „Seminare“ und „Coachings“ in Anspruch genommen. Solche Veranstaltungen sind zumeist betrügerische Gute-Laune-Weekends, in deren Verlauf die falschen Textgattungen behandelt werden (Nachrichten), Lügen über die Branche verbreitet werden („Bewirb dich doch mal beim Synchron, die brauchen immer neue Leute!“) unzutreffend-ungefähres Lob ausgeteilt („Da ist schon viel Schönes dabei!“), fehlgehende Komplimente gemacht („Du hast eine tolle Stimme!“) und gegenstandslose Hoffungen („Im Grunde hat doch jeder ein Talent!“) geweckt werden.
Der kleine Rest Ganovenehre in meinem Herzen kann das sogar nachvollziehen: die meisten, die sich für das Thema „Sprechen am Mikrofon“ interssieren, wollen nichts völlig Neues lernen, wollen sich nicht als erwachsene Menschen bei etwas so Alltäglichem wie dem Sprechen unterbrechen und korrigieren lassen (was in der Tat eine Zumutung ist). Sie wollen sich einfach ein paar Stunden lang als Insassen eines Studios fühlen und mit der Annonce nach Hause gehen, dass sich ihr Leben jederzeit mit einer leichten und anspruchslosen (sic!) Tätigkeit befüllen ließe, wenn sie nur mal bei einem Studio anklopften und auf sich aufmerksam machten. Danach wendet man sich rasch einer anderen tröstlichen Täuschung zu.
Als Anbieter von Einzel-Unterricht, der erst am Ende jeder Stunde sein Honorar kassieren muss, kalkuliere ich diese Unwägbarkeit mit ein, so gut es geht, was nicht bedeutet, dass sie bei der Planung keine Schwierigkeiten macht. Auch wenn die folgenden Hinweise niemals ernstgenommen werden, will ich sie nicht verheimlichen.

Die häufigsten autodidaktischen Irrtümer des Sprechens am Mikrofon

Eine Schauspielausbildung ist eine gute Voraussetzung, um als Sprecher am Mikrofon zu arbeiten.
Das wäre so, wenn an der Schauspielschule das Spielen am Mikrofon parallel zum Spielen vor Publikum und Kamera unterrichtet würde. Das geschieht aber nicht. Für alles, was man als Sprecher von der Schauspielerfahrung profitiert, gibt es etwas, das verwirrt und irreführt.

Eine schöne Stimme ist das Wichtigste.
Im Operngesang ist eine schöne Stimme sehr wichtig – zusätzlich zu Talent, Technik und Erfahrung. Beim Sprechen ist sie eine hübsche Zugabe zu Talent, Technik und Erfahrung. Wer mit seiner Stimme nicht technisch umgehen kann, besitzt ein wunderschönes Musikinstrument, das er nicht zu spielen gelernt hat.

Eine Seminarbescheinigung öffnet Studiotüren.
Sowas interessiert nun wirklich kein Schwein.

Alle sagen mir immer, was ich für einen tollen Humor habe. Sowas wird immer gebraucht.
Bevor man den eigenen Humor eventuell in den Vortrag mit einfließen lassen kann, muss man die Technik beherrschen.

Ich kann lesen, ich kann sprechen. Also kann ich ich auch genauso gut vom Blatt laut vorlesen.
Das ist so, als würde jemand sagen: Ich kann jede Klaviertaste anfassen, also kann ich auch Klavierspielen!

Schnellsprechen macht Eindruck!
Das Tempo wird von Ausspielmedium und Textgattung vorgegeben. Meistens ist „wahnsinnig schnell“ nicht das, was gebraucht wird. Schon gar nicht, wenn das Tempo zu Lasten der Sorgfalt geht.

Ein reifes Alter wird als Erfahrung ausgelegt.
Das Gegenteil ist richtig. Wer sich mit über 30 bei einem Studio vorstellt, bei dem fragen sich die Kollegen: wo hat der denn all die Jahre gesteckt? Es wird doch kein Quereinsteiger sein? In der Tat werden reife Stimmen gesucht – solche die auch reif klingen. Aber auch hier muss die Technik beherrscht werden.

Dieser Beitrag wurde unter Buchauszug, Mikrofonarbeit abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert