Zuverlässig unoriginell

betr.: Letzter Nachtrag zum Tode von Martin Walser

Inzwischen wissen wir, dass Martin Walser schon einige Tage vor dem 28.7. gestorben ist, der anfänglich als sein Todesdatum angenommen und die Wikipedia eingetragen wurde.
Auch dieser heutige Beitrag versteht sich als Nachruf-Nachlese.

Ich habe Martin Walser nie ausstehen können. Er erschien mir zuallererst als eitel, dann als pampig, schließlich als ein bedeutender Mann der Sprache, von dem mir gleichwohl keine einzige Formulierung so gut gefiel, dass ich sie mir hätte merken wollen. Das spricht für sich und ist beachtlich bei jemandem, der jahrzehntelang fleißig publiziert und sich überdies bis zuletzt an politischen Diskursen beteiligt hat.
Wenn Heinrich Böll für seine Gesinnung gelobt wurde, pflegte er zu antworten, die gäbe es bei ihm gratis. Er wollte lieber für seine Kunst gelobt werden, für seine Sprache. Bei Walser gab es künstlerisch für mich nichts holen (wie auch bei Grass und ganz anders als bei Böll).
Ich lese die Nachrufe auf hölzerne Titanen immer besonders aufmerksam, weil sie mir die vorläufig letzte Gelegenheit bieten, mittels eines neuen Gesichtspunktes mein eigenes Urteil noch einmal zu überdenken. Das hat sich im vorliegenden Falle nicht ergeben.

In der „FAZ“ übernahm Andreas Platthaus die huldvolle Aufgabe dieses Nachrufs. (Ich kenne seine Arbeit gut, weil er seit langem überaus kundig über Comics schreibt, merke ihm aber auch jedesmal an, wenn ihm ein Thema persönlich fremd ist und er sich erst hineinarbeiten muss.) Die exemplarische Gedichtzeile, die Platthaus zum Andenken aus dem Walser-Schatz auswählt, ist diese: „Möchte vergangen sein wie Schnee, / mitgeteilt dem See, / viele Male gefroren, viele Male getaut, / abwesend ohne Laut“.
Einen derartigen Masturbationskitsch hätte ich mich nicht einmal ins Poesiealbum einer Mitschülerin zu schreiben getraut, die mir weniger nahesteht.

In der „taz“ fragt sich Dirk Knipphals gleich zu Beginn, als was er Walser rückblickend herausstellen soll:  als „Den Umstrittenen? Die Instanz? Das Relikt?“ (Bezeichnenderweise nicht als „Der Autor“, „Der Künstler“ oder gar „Der Dichter“, was – mit Verlaub – die Hauptsache ist, die allem anderen erst hätte vorausgehen müssen.) Weiter unten beschreibt Knipphals die Paraderollen der Schriftsteller in der frühen Bundesrepublik: „Dass es eine moralische Instanz geben musste (Böll), jemanden, der barocke Sprachlust in der normalitätssuchenden BRD entfesseln würde (Grass), und auch einen listigen Spieler (Enzensberger), war im Szenario Nachkriegszeit sozusagen angelegt.“ Der Verstorbene muss bei dieser Anordnung leider draußen bleiben. Immerhin: „Im Grunde war er, alles in allem, der unwahrscheinlichste Autor der Bundesrepublik.“

Martin Walser hat natürlich auch noch einmal selbst zu mir gesprochen. Der SWR wiederholte ein von ihm selbst bearbeitetes und inszeniertes Hörspiel auf Basis seines großen Erfolges „Ein fliehendes Pferd“ (1978). Die Dialoge sind wirklich klasse! Leider funktioniert die Dramaturgie nicht, zumindest nicht im Hörspiel. Dass die beschriebenen Menschen ein solches Thema auf die vorgeführte Weise verhandeln, ist unglaubwürdig, die Sache hat keinerlei Rhythmus. Immerhin – und das ist gar nicht ohne – erweist sich der Autor hier als Vorläufer von Yasmina Reza und ihren Epigonen, die zehn Jahre später damit begannen, es zum eigenen Genre zu erheben, zwei bourgeoise  Ehepaare aufeinander loszulassen, die streitend daran verzweifeln, wie ähnlich sie einander sind.
Diese Passage finde ich wirklich hübsch: „Es sollte ein Gesetz geben, das ehemaligen Schülern verbietet, ihren Lehren je wieder unter die Augen zu kommen. Und einen Zusatz: Freunde, mit denen man länger als zehn Jahre nichts zu tun hatte, haben sich als Fremde zu benehmen. Noch ein Zusatz: Fremde, die einen einfach ansprechen, begehen damit ein dem Hausfriedensbruch vergleichbares Delikt.“ – Nicht ganz meine Meinung, aber gut gebrüllt!

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