Die Wohlmeinenden

Anfang des Monats wurde in der “Welt“ unter der Überschrift „Der Preis der Wokeness“ gemutmaßt, der Grund für den Misserfolg vieler neuer Filme könne ein Übermaß an Wokeness sein. Als prominentes Beispiel wird das Schicksal der „Star Wars“-Saga und die nachgereichten Beiträge zur „Indiana Jones“-Reihe angeführt, die George Lucas 2012 an Disney verkauft hat: „Mit dem neuen Eigentümer zog die postmoderne Wokeness in die Klassikerserie ein. Diversität und eine seltsam oberflächliche Vorstellung von Emanzipation und Feminismus bestimmen seither die Lucasfilm-Produktionen. Und seitdem strauchelt die Marke so wie der Disney-Konzern als Ganzes, frei nach dem Motto: ‚Go Woke, Go Broke‘. Also: wer „woke“ – sprich übersensibel – gegen vermeintliche Diskriminierung wird, geht irgendwann pleite. Weder alte noch neue Fans haben Lust auf von Studioverantwortlichen verstümmelte Filme, die mehr damit beschäftigt sind, eine vermeintlich progressive Agenda auf die Leinwand zu bringen als gutes Kino.“

So begrüßenswert eine „aufgeweckte“ Gesellschaft wäre, so wenig trifft die Annahme zu, man müsse den Menschen nur (durch die Blume der Popkultur) mitteilen, dass sie sich tolerant und demokratisch zu verhalten hätten, und schon würde diese Anweisung befolgt. Es ist kein Zufall, dass der allgemeine Demokratieverlust des frühen 21. Jahrhunderts mit einem Unterhaltungs-Mainstream zusammenfällt (Disney ist kein Einzelfall), der gegen alle dramaturgische Schlüssigkeit und alle Logik der Figurenzeichnung eine Welt abbildet, in der (ich erfinde das Beispiel) ein Eroberer gendert, ehe er einen Planeten in die Luft jagt.
Selbstverständlich hat Kultur einen gewaltigen Einfluss auf den Zeitgeist, und die Geschichte der Literatur und des Musiktheaters ist reich an Beispielen, in denen dem Publikum ein erheblicher Denkanstoß gegeben wurde.* Das kann aber nur gelingen, wenn das Werk zuerst einmal gefällt, und zwar in seiner Eigenschaft als reines Unterhaltungsprodukt. Es muss Erfolg und eine dementsprechende Verbreitung haben (im kommerziellen Sinne und somit nicht zu ungunsten der Hersteller, die begreiflicherweise etwas damit verdienen wollen), um eine Botschaft verbreiten zu können. Ein Film, von dem man sich bevormundet und weltverbessert fühlt, ist dazu nicht in der Lage und erreicht eher das Gegenteil.

Das frühe 21. Jahrhundert bietet nicht die besten Voraussetzungen für solche Ambitionen. Mit großen Filmen mag man noch immer viel Geld machen können, aber diese Kunstform genießt kein sonderlich hohes Ansehen mehr. Die Zeiten, in denen man mit Literatur oder Theater Diskurse befeuern konnte, sind erst recht vorbei. Das Kino mit seinem Schwerpunkt auf ganz großen Blockbustern, die verzweifelt darum bemüht sind, es allen recht zu machen, um überhaupt ihre Kosten wieder einzuspielen, ist gewiss nicht geeignet, sie wieder anbrechen zu lassen.
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* Hier wird ein Beispiel von vor knapp 100 Jahren beschrieben: https://blog.montyarnold.com/2014/12/27/musikdampfer-mit-mission/

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Eine Antwort zu Die Wohlmeinenden

  1. Pingback: Medienlexikon – Film und Fernsehen (Ve-Zom) - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

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