Der Komiker als Filmheld (18): „Stand Up! Was bleibt, wenn alles weg ist“

Diese handlungslose Tragikomödie ist deutlich vom letzten in dieser Rubrik behandelten Beitrag inspiriert.* Sie kreist um die halbherzigen Comebackversuche des Comedians (Witzeerzählers?) Charlie Schwarzer, den Alkohol, Drogen und Selbstmitleid schon in seinen Dreißigern rein optisch in einen wandelnden Leichnam verwandelt haben. Zu Beginn erfährt er bei einem Arztbesuch, dass er am Korsakow-Syndrom, einer fressenden Demenz, erkrankt ist. (Immerhin geht das Leiden nicht zu Lasten der Potenz, wie uns eilig versichert wird.) Auch sonst läuft Charlies Leben nicht rund. Um weiterhin maßgeschneiderte Anzüge tragen zu können, hat er sich bei einem schmierigen Modekönig verschuldet, der ihn regelmäßig durch seine Gorillas einschüchtern lässt. Seine große Liebe Emilie will sich vom Balkon stürzen (vorsichtshalber gleich noch mit einer Schlinge um den Hals), und nachdem Charlie das verhindert, erleidet sie einen schweren Autounfall. Außerdem verfolgt ihn die Polizei wegen eines Kunstraubs, in den er verwickelt wurde, als er sich etwas dazuverdienen wollte  …

Hauptdarsteller / Regisseur / Drehbuch-Mitautor Timo Jacobs – eine Entdeckung des Anarcho-Filmers Klaus Lemke – schüttet uns bereitwillig seinen Zettelkasten vor die Füße. Die Witze des Helden, die dieser kokett gleich selber als schlecht bezeichnet, gehen bruchlos in den Dialog der Figuren über, die auf dem immergleichen Niveau vor sich hinkalauern – wenn sie nicht über ihre eigenen Versagerqualitäten lamentieren, was Tiefgang vortäuschen soll, oder versuchen, herzig rüberzukommen. Hin und wieder legen sie es auf Mitleid an, therapieren sich mit ihren Phrasen jedoch eilig selbst, etwa wenn Charlie sich mit dem zweideutigen Schlachtruf aufmuntert: „Stand Up!“. Dabei sind diese Charaktere so durch und durch jämmerliche Existenzen, dass sich immerfort fremdschämt, wer sich überhaupt für sie interessiert. (Die Darsteller der einen oder anderen drolligen Nebenrolle kämpfen auf verlorenem Posten.)
Im Rahmen des Auftritts gegen Ende, bei dem sich Charlie mit einer Lebensbeichte beim Publikum anbiedert, anstatt seinen Job als Entertainer zu machen, stellt sich für einige Minuten ein geradezu dokumentarischer Realismus ein.

Einige Kritiker taten dem Film „Stand Up! Was bleibt, wenn alles weg ist“ (D 2021) den Gefallen, seinen Selbstekel als „Melancholie“ zu deuten.

__________________
* Siehe https://blog.montyarnold.com/2023/02/23/funny-people-wie-das-leben-so-spielt/.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Gesellschaft, Kabarett und Comedy, Rezension abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert