Regietheater – muss das sein?

„Zeit“-Autor Peter Kümmel fasste dieser Tage die Regietheater-Normalität auf unseren Bühnen so zusammen: „Seit Jahren gibt es in Deutschland ein Einheitsbühnenbild, in dem sich das meiste Theater (abzüglich der Boulevardkomödien) abspielt und worin die Figuren wohnen: Es ist das Verlies, das unmöblierte und fensterlose Gewölbe. Hier findet der Schauspieler keine Geborgenheit. Er muss immerzu stehen und spricht seinen Text wie ein Zeuge zum Publikum hin. Wenn er doch mal sitzen darf, dann auf einem kalten Stuhl, auf dem er leidet wie ein Sträfling, der verhört wird, ehe man ihn abführt. Kurzum: der ohnmächtige, unter diffuser Anklage stehende Mensch beherrscht, so paradox das auch klingt, die Bühnen. (Natürlich gibt es Ausnahmen: Manche Aufführungen spielen in den Bereich des Trashs hinein und sind muntere Abarten des Verlies-Theaters, da sie sich unter den Zwang setzen, nicht nur ‚die Lage des modernen Menschen‘ zu zeigen, sondern auch noch unterhaltend sein zu wollen.)“ (Der Artikel ist insgesamt freundlicher als dieser Anfang vermuten lässt…)

Die Annahme, es müsse sich in praktisch jeder modernen Inszenierung irgendjemand ausziehen und / oder vollschmieren, ist ein fürchterlich alter Hut. Spätestens seit 1976, seit Peter Zadeks legendär-skandalöser „Othello“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus, in der der halbnackte, schwarz bepinselte, abfärbende Ulrich Wildgruber in der Titelpartie über die Bühne tobte, gilt es als verstaubt und irrelevant, als eine Art naiver Malerei, die handelnden Personen eines (zumal klassischen!) Bühnenwerkes manierlich auszustatten und einzukleiden. „Hamlet“ hat nackt zu sein und vor Waschbeton auf seinem Laptop herumzuklickern – schließlich ist Shakespeare ja so unerhört zeitlos. (Eben!)
Auch in der Oper hat sich dieser Ansatz längst breitgemacht. Das unausgesprochene Argument: man wolle und müsse sich schließlich von den zahlreichen früheren Inszenierungen absetzen, um kreativ sein zu können. Selbst Zeitstücke (einige ja ihrerseits inzwischen Klassiker) spielen mit Vorliebe in raumloser Dekoration und in einer Atmosphäre beliebig wirkender Abstraktion, abstrakt und nach Möglichkeit dreckig. In einer Einführung (es Thomas Bernhard gegeben) entsetzte mich die Dramaturgin der genannten Hamburger Bühne einmal mit dem Geständnis, man habe alle weiblichen Rollen mit Männern besetzt und umgekehrt, denn irgendwas in der Art hätte man ja schließlich machen müssen. (In den Worten von Loriot: „Andere machen es doch auch!“)

Das heute „übliche Wasser-und-Brot-Theater“ (Kümmel) beruht auf der Wichtigkeit, die die Regie seit der Jahrhundertwende auf dem Theater genießt. Zuvor hatten der Autor und sein Stück im Vordergrund gestanden. 2000 Jahre nach den Werken der Alten Griechen musste die „sich immer schneller verändernde Welt (…) ebenso gedeutet werden wie die ihrerseits weltbedeutenden Texte des Theaters nach neuer Lesart verlang[t]en“ (Peter von Becker).*
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* in „Das Jahrhundert des Theaters“, Begleitbuch zur gleichnamigen TV-Reihe, ZDF / Dumont 2002

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