Rinaldi in Sippenhaft

betr.: „Staying West!“ von Alexander Braun

Fortsetzung vom 21.11.2023

Im Kapitel „Karl Mays Enkel“ erklärt Alexander Braun schonungslos, was wir schon wussten oder zumindest ahnten: in puncto Comics ist Deutschland immer ein Entwicklungsland gewesen und ist es bis heute geblieben. Daran ändern weder die Verdienste von Wilhelm Busch um die Entwicklung dieser Kunstform etwas noch die Graphic Novels, die es auch bei uns in den Buchhandel geschafft haben.
Warum das Schaffen von Rolf Kauka und die vielen von ihm verantworteten Serien, Konzepte und Charaktere dagegen ebenfalls nichts ausrichten (ähnlich wie sein Vorbild Walt Disney hat Kauka selbst nicht gezeichnet), wird in einer lückenlosen Beweisführung dargelegt. Sie liest sich noch schmachvoller, wenn wir uns die Kreativität unserer Nachbarn Frankreich, Belgien und Italien vor Augen führen. Selbst das ferne Argentinien (das uns in diesem Zusammenhang heute kaum in den Sinn kommt) hat eine kurze aber bedeutsame Glanzzeit der „Neunten Kunst“ aufzuweisen.*

Diese Abbildungen stammen aus dem Abenteuer „Die Stadt der lockeren Fäuste“ von Riccardo Rinaldi und zeigen typische Schauplätze und Situationen der Western-Kultur.

So findet die Kauka-Serie „Tom und Biberherz“ (ab 1957, ab 1973 „Tom und Biber“) aus dem „Fix und Foxi“-Kosmos als Western-Serie kurz Erwähnung – die Abbildung im Katalog stammt von Walter Neugebauer, der für Kauka eine beeindruckende Karl-May-Bearbeitung vorlegte. Doch obwohl seine zeichnerische Leistung durchaus anerkannt wird, trifft auch ihn Brauns hartes aber gerechtes Urteil: das Vermögen der deutschen Comickünstler war nach dem Kriege schon dadurch gedeckelt, dass keiner von ihnen sich für die Geschichte des Comics interessiert und ausländische Beispiele studiert hat. Somit konnte sich auch niemand an Vorbildern orientieren. Man begann hier praktisch bei null, und die Lernkurve war flach. Viele dieser Zeichner waren außerdem am Medium Comic persönlich uninteressiert und wirkten nur auf diesem Gebiet, weil es sie dorthin verschlagen hatte. Kauka selbst wird als Comic-Banause geschildert, und sogar sein verdienstvoller Redakteur und Autor Peter Wiechmann schrieb zu meiner Überraschung kurz vor seinem Tode: „… die weite Welt des Comics ist mir – generell gesehen – fremd geblieben. Heißt: ich habe kein Wissen darum. Mir fehlt das Interesse. Ich las nie Comics, die außerhalb meiner Einfluss-Sphäre existierten oder entstanden.“ – für seine Fans ein irritierendes Geständnis.**

So ist es nicht verwunderlich, dass auch Riccardo Rinaldi, der „Tom und Biberherz“ von Neugebauer übernommen hat, mit in den Maelstrom gerät und von Alexander Braun verworfen bzw. übergangen wird.

Rinaldi war der einzige Italiener in Kaukas Münchner Villa, die meisten seiner Kollegen dort stammten aus Jugoslawien. Vielleicht erklärt sich so seine besondere Qualität im Comic der frühen Bundesrepublik. Rinaldi hat außerdem „Fix und Foxi“ gezeichnet und eine Steinzeit-Serie sowie eine erotische Siegfried-Sage gestaltet. Wie alle übrigen Haus-Zeichner blieb er namentlich ungenannt, seine Arbeit firmierte unter „Rolf Kauka“.
Ich gehe davon aus, dass Rinaldis Arbeit den in „Staying West!“ gestellten Ansprüchen unbedingt genügt und dass er ausführlich darin gewürdigt worden wäre, hätte er sich in seiner Heimat betätigt. Die hier abgebildeten Zeichnungen (vermutlich) aus dem Jahre 1968 könnten dafür sprechen.

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* Mehr dazu in wenigen Tagen.
** Siehe „Primo Premium“, zweibändige Sammleredition, Selbstverlag 2019
*** Siehe https://blog.montyarnold.com/2023/11/21/staying-west/

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