Was tun mit den vielen Namen?

betr.: Lesen vom Blatt / Sprechen am Mikrofon

Hin und wieder ergibt sich im Unterricht eine spezielle Herausforderung, die gar nicht als solche angelegt ist. Aber das ist schon in Ordnung, denn in der Praxis passiert solches ja auch.

Bei der Lesung von Cixin Lius‘ Science-fiction-Bestseller „Die drei Sonnen“ um eine Gruppe chinesischer Wissenschaftler, die versucht, vor allen anderen Nationen Kontakt mit Außerirdischen aufzunehmen, ereignet sich schon auf den ersten Seiten eine Aufzählung chinesischer Namen. Es sind dies Gelehrte, die im Rahmen der Kulturrevolution (1966-1976) unter die Räder kamen.

Abgesehen von der zungenbrecherischen Qualität dieser Passage – sie ergab sich wie gesagt rein zufällig – war es mir nun wichtig, dem Vortrag zweierlei Anmutung mitzugeben: zum einen muss der Eindruck erweckt werden, dass dem Lesenden die Personen hinter den Namen geläufig sind, zum anderen muss der Grund mitgedacht werden, der sie an dieser Stelle im Text zusammenführt (dem Untergang geweihte Gelehrte, wie gesagt). 
Obwohl niemand am Lautsprecher solches Insiderwissen allen Ernstes einfordert oder voraussetzt, will man sich doch die Illusion hingeben, sich in den guten Händen eines allwissenden Erzählers zu befinden.

Ein älteres Beispiel fiel mir in diesem Zusammenhang wieder ein. In „Onkel Oswald und der Sudan-Käfer“ (einer seiner erotischen Erzählungen) lässt Roald Dahl seine Helden im Jahre 1919 eine Liste vielversprechender Persönlichkeiten aufstellen, die in ein Experiment verwickelt werden sollen.

usw.

Jeder von uns wird einige dieser Namen schon mal gehört haben, vielleicht sogar eine klare Vorstellung haben, um wen es geht bzw. auf welchem Gebiet diese Leute hervorgetreten sind. Wer diese Liste laut vorträgt, sollte sich von einem lieben, unbestechlichen Mitmenschen prüfen lassen, ob man einen Unterschied heraushört zwischen den geläufigen und den ungeläufigen Namen. Ob und was der Interpret des Textes über diese Hintergründe weiß, will der Zuhörer nicht wissen. (Er will es nicht hören.) Es gehört sich, ihn damit also auch nicht zu behelligen.

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