Wonka schämt sich

Das LeslieBricusse-Filmmusical* „Willy Wonka And The Chocolate Factory“ von 1971 mit Gene Wilder in der Hauptrolle führt hierzulande ein Schattendasein sogar bei den Fans des klassischen Musicals. Nicht einmal das Remake mit Johnny Depp im Jahre 2005 hat zu seiner Entdeckung beigetragen. Auch Sammy Davis jr.s Hit „The Candy Man“ wird von denen, die ihn noch kennen, kaum mit seiner Quelle in Verbindung gebracht. Im angelsächsischen Raum ist das anders, zumal der hintersinnige Bestsellerautor Roald Dahl die Vorlage geschrieben hat.

Der neue „Wonka“ kommt nun ganz modisch als Prequel all dessen daher. Das zum Knutschen gephotoshopte Bild des kindlichen Hauptdarstellers Timothée Chalamet (Beispiel für eine Generation männlicher Stars, die keinen Sixpack mehr braucht, wie die taz anmerkte) lässt schon erkennen, dass alles Abgründige, was die Autoren vor einem halben Jahrhundert umgetrieben hat, hier vermieden wird.

Eines habe ich mich beim Lesen der Ankündigungen immer gefragt: ist dieser Film ein Musical? Die Frage ist nicht unberechtigt. Da ich keinen Hinweis darauf fand, nahm ich an, es handele sich wohl um einen reinen Sprechfilm.
Nun erzählt mir meine Nachbarin, der Film sei sehr wohl ein Musical, und dass das niemand zugibt, sei kein Zufall, sondern eine Entscheidung der Produzenten. Das Musical als solches hat nach deren Meinung so sehr abgewirtschaftet, dass man das Genre lieber verheimlicht – auf die Gefahr hin, dass am Ende Leute im Saal sitzen, die sowas gar nicht sehen wollen.
Machen wir uns nichts vor: das Marketing schämt sich! Sogar der schmucklose Wikipedia-Artikel wurde auf Linie gebracht. Man muss ihn recht lange durchhalten, bis man weiter unten auf den Hinweis stößt, er enthalte „neue Songs“, die jemand dem Film „beigesteuert“ habe.

Timothée Chalamet ließ die Öffentlichkeit wissen, er habe Johnny Depps Darstellung (die ich – zugegeben – weiträumig umfahren habe) „mutig“ gefunden. Mit diesem Ausdruck haben wir früher im Kabarett nach der Vorstellung unseren Kollegen höflich mitgeteilt, dass uns ihre Arbeit nicht erreicht hat. Heute sagt man wohl „interessant“ …

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* Siehe auch: https://blog.montyarnold.com/2023/08/19/sprechstunde-bei-doctor-dolittle-3/

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